Afrikas größtes Filmfestival: Geschichten über Unsichtbare
In Burkina Faso läuft noch bis Samstag das Fespaco. Nie zuvor standen in der 48-jährigen Geschichte Frauen so sehr im Mittelpunkt wie heute.
Damit hat zum ersten Mal der Streifen einer Filmemacherin das Fespaco, die bedeutendste Zusammenkunft für die Branche innerhalb Afrikas, eröffnet. Auch wenn es nie offizielles Motto des 25. Fespacos war, ist es ein weibliches Filmfestival. Gleich, auf welches Plakat man schaut, mit welcher KritikerIn oder mit welchen ZuschauerInnen man spricht: Eine Woche lang stehen in Ouagadougou Frauen im Mittelpunkt, meist allerdings mit ihren Sorgen, Ängsten und Nöten.
Burkina Fasos Premierminister Paul Kaba Thieba will es nach der Vorstellung von „Frontières“ lieber positiv ausdrücken. Er zeige „die Kraft der afrikanischen Frauen“, sagt er und lobt: „Ich war sehr beeindruckt von der Qualität. Das hatte ich nicht erwartet.“ Das klingt nett, kann aber auch heißen, dass er der Macherin sowie den Darstellerinnen so viel gute Arbeit nicht zugetraut hat.
Unwana Udobang steht einige Meter entfernt, strahlt über das ganze Gesicht und gibt ein Interview nach dem anderen. Sie ist die einzige Nigerianerin und englischsprachige Hauptdarstellerin von „Frontières“, das ein westafrikanisches Roadmovie ist. Vier Frauen reisen aus unterschiedlichen Gründen vom Senegal bis in die Millionenmetropole Lagos, erleben massive Gewalt, Korruption an den Grenzen, obwohl der Grenzübertritt innerhalb der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas eigentlich geregelt und kostenfrei ist, letztendlich aber auch Zusammenhalt und Gemeinschaft.
Einschüchterungen und Schikanen
Für die Schauspielerin, die in Lagos hauptsächlich als Journalistin arbeitet und Gedichte verfasst, war es eine neue Erfahrung: „Ich bin ja nie auf der Straße durch Westafrika gereist“, sagt sie. „Ich hätte nicht gedacht, dass es zu so vielen Schikanen kommt.“ Drohungen zum Beispiel, jemanden nicht weiterreisen zu lassen, wenn er sich weigert, 2.000 oder 3.000 CFA-Francs (3 bis 4,5 Euro) zu zahlen. Oder die illegalen Zölle auf Handelswaren, angeblich fehlende Papiere, etwas Plastikschmuck, der mit minimalem Gewinn im Nachbarland verkauft werden soll.
In Kauf nehmen die Einschüchterungen und kleinen Erpressungen meist Frauen, die mit den Geschäftsreisen das Studium ihrer Kinder finanzieren, Geld für ihre Hochzeit zurücklegen oder Männern einen Dienst erweisen. Egal, ob in der malischen Hauptstadt Bamako, am Straßenrand irgendwo in Burkina Faso oder an einem Busbahnhof in der Elfenbeinküste. Sie sind diejenigen, die unterwegs sind und mit meist bescheidenen Gewinnen – wenn überhaupt – etwas ändern wollen und trotzdem unsichtbar bleiben.
„Sie werden einfach nie wahrgenommen“, sagt eine Zuschauerin im Herausgehen fast beiläufig zu sich selbst. Schauspielerin Unwana Udobang, die sich selbst als Frauenrechtlerin bezeichnet, war auch deshalb so von dem Drehbuch angetan. „Die Chance meines Lebens“, sagt sie, gibt aber auch zu: „Ich war abenteuerlich.“ Einen besseren Einblick in den Alltag vieler Frauen hat ihr der Film auf jeden Fall gebracht.
Davon gibt es zahlreiche weitere Filme, etwa „L’Arbre sans fruit“ („Der Baum ohne Früchte“) aus dem Niger, den Aïcha Macky gedreht hat. Hinter dem poetischen Titel verbirgt sich eine Dokumentation, die die ungewollte Kinderlosigkeit in den Mittelpunkt rückt. Die gibt es zwar überall, doch in Mackys Heimatland, dem Niger, wo mit 7,6 Kindern eine Frau so viele Kinder hat wie nirgendwo sonst auf der Welt, drängt sie gerade Frauen im besonderen Maße aus der Gesellschaft. Männern geht es nicht unbedingt besser. In einem muslimisch geprägten Land, in dem Polygamie sehr üblich ist, haben sie aber etwas mehr Hoffnung, mit einer zweiten oder dritten Frau ein Kind zu bekommen.
„Eine Realität und meinen Alltag“ nennt die junge Senegalesin Fatou Touré Ndiaye, selbst Muslima, die Vielehe. Egal, ob im Senegal, in Burkina Faso, dem Niger oder Nigeria: Sie ist da, und Frauen müssen sich damit abfinden. Öffentlich klagt niemand darüber. Umso überraschender war vor zwei Wochen der Vorschlag des Emirs von Kano, Muhammadu Sanusi II., einem der wichtigsten muslimischen Meinungsführer in Nigeria. Er sagte, Männer sollten bei der Heirat einer Zweitfrau künftig zumindest nachweisen müssen, ob sie diese auch finanzieren können.
Kaum eine Frau teilt gerne
Wie es jedoch Frauen geht, wenn der Mann zum zweiten, dritten oder vierten Mal heiratet, danach fragte er – selbst dreimal verheiratet – freilich nicht. Fatou Touré Ndiaye tut es nun mit dem Kurzfilm „La Promesse“ und zeigt eigentlich nur das, was ohnehin längst klar war, aber nie ausgesprochen wird: Kaum eine Frau teilt gerne.
Auf dem Fespaco werden jedoch nicht nur Filme gezeigt, die eine zwar unschöne Realität abbilden, mit der man sich aber im Notfall irgendwie arrangieren kann. Sie zeigen auch massive Gewalt. Der Film „Aisha“ aus Tansania handelt davon. Anfangs kommt er daher wie ein Streifen über Zwangsehen, was jedoch nur am Rande thematisiert wird.
Tatsächlich geht es um die Gruppenvergewaltigung einer Frau, die für ein paar Tage zurück in ihr Dorf geht. Das Tragische ist, dass die Täter bekannt sind, es kein Einzelfall ist und sowohl der Bruder als auch der Ehemann mehr auf Ansehen und Familienehre bedacht sind als auf Aufklärung, Aufarbeitung oder sogar Verurteilung. Letztendlich sind es wieder Frauen, die sich zusammenschließen und eine Bestrafung einfordern. Ein Appell an die Solidarität unter Frauen und daran, sich endlich mehr mit Missbrauch und sexueller Gewalt auseinanderzusetzen.
Vereinzelt gibt es über den Kontinent verteilt dazu zwar Initiativen. In Botswana richtete die Polizei schon vor Jahren spezielle Befragungsräume für Frauen ein, die Opfer häuslicher und/oder sexueller Gewalt geworden waren. Doch das Thema bleibt mit wenigen Ausnahmen in den meisten Ländern ein Tabu.
Ein neuer Zugang zu einem Tabu
Dabei wurde erst vor ein paar Monaten während einer Konferenz in Äthiopien geschätzt, dass vermutlich jedes vierte Kind auf dem Kontinent Opfer von sexueller Gewalt wird. In Nigeria bezeichnete Justice for All, ein Programm des British Council, kürzlich ebendiese als das häufigste Verbrechen gegenüber Frauen. Mit dem tristen Film „Aisha“, der zwar versöhnlich, aber nicht gut ausgeht, könnte ein neuer Zugang zu diesem Tabu gefunden werden.
Gemeinsam ist den zahlreichen starken Filmen, die auch im Wettbewerb um den Filmpreis „Étalon de Yennanga“ laufen, der am Samstag verliehen wird, dass Frauen in aller Regel Opfer und Männer Täter sind. Für den belgischen Filmemacher Thierry Michel, der seine knapp zweistündige Dokumentation über den Gynäkologen Denis Mukwege außerhalb des Wettbewerbs präsentiert, spiegelt dieses Verhältnis auch die Realität.
„Frauen tragen Afrika auf ihrem Rücken. Trotzdem sind sie die schlimmsten Opfer in allen Kriegen. Es sterben mehr Zivilistinnen als bewaffnete Soldaten“, erklärt Michel, dessen Film in zahlreichen Ländern für Gesprächsstoff gesorgt hat und in Ouagadougou viele Zuschauer fast verstört zurücklässt. Die Täter sind auch hier männlich.
Im Vergleich zu vielen anderen Filmen ist es hier auch der Held und die Hauptfigur: Doktor Mukwege hat 40.000 Opfern sexueller Kriegsverbrechen im Ostkongo das Leben gerettet. Und genau dafür verehren ihn die Frauen in seiner Heimat.
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