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Das PortraitAfrikas Lehrer

■ Julius Nyerere

Julius Nyerere, Staatsgründer von Tansania, ist tot Foto: Reuters

Im nachkolonialen Afrika war er eine Ausnahme. Einer, der freiwillig die Macht abgab. Einer, der weltweit als Elder Statesman geachtet war. Einer, der noch im hohen Alter zugab, dass sein Lebenswerk gescheitert sei. Einer, der Rousseau liebte und Shakespeare ins Suaheli übersetzte.

Man weiß nicht ganz genau, wie alt Julius Kambagare („Regengeist“) Nyerere bei seinem Tode war, denn seine Mutter konnte sich an das Geburtsdatum nicht erinnern. Es war auf jeden Fall im April 1922, und es regnete. Nyerere war eines von 26 Kindern eines Häuptlings in der damaligen Kolonie Tanganjika. Knapp 40 Jahre später führte der mittlerweile studierte Lehrer das Land in die Unabhängigkeit und galt seit der Gründung des geeinten neuen Staates Tansania, 1964 aus Tanganjika und Sansibar gebildet, als „Vater der Nation“. Bis 1985 blieb er Staatspräsident.

Nyereres Ziel war vor allem, mit einem neuen Nationalismus die mehr als 130 Ethnien des neuen Staates zusammenzuschmieden. Um das zu erreichen, erhob er Suaheli zur offiziellen Landessprache. Zugleich suchte er nach einem eigenen Entwicklungsweg: einen afrikanischen Sozialismus, subsummiert unter dem Suaheli-Wort für Gemeinsinn, Ujamaa. Banken, Industrie und Versicherungen wurden verstaatlicht, Dörfer und Gemeinden nach chinesischem Vorbild in Kollektiven organisiert, Millionen von Menschen rigoros umgesiedelt. „Es ist ein Befehl, in Dörfern zu leben“, so der Präsident.

Zwar gelang es dadurch, die kolonialen Stukturen radikal aufzubrechen, am Ende scheiterte das Modell jedoch furios. Die Wirtschaft stagnierte, und erst 1995, zehn Jahre nach Nyereres Abgang, fanden in Tansania die ersten freien Wahlen statt. Zugleich waren aber Erfolge im Bildungswesen vorzuweisen, und das Land blieb friedlich, anders als die meisten Nachbarn.

Unter Nyerere wurde Tansanias Hauptstadt Dar-es-Salaam ein Anlauf- und Fluchtpunkt für Rebellen und Befreiungsbewegungen – aus Südafrika und Mosambik, Simbabwe und Uganda, aus Ruanda und Kongo und bis heute aus Burundi. Für sie alle war Nyerere der mwalimu, der Lehrer. Gemeinsam mit Nelson Mandela, mit dem ihn mehr als nur das Alter verband, war Nyerere zuletzt Ehrenpräsident eines Instituts in Johannesburg, das sich als Think Tank für die „Afrikanische Renaissance“ versteht. Julius Nyerere starb gestern 77-jährig in einem Londoner Krankenhaus an Leukämie. Kordula Doerfler

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