Afrikanisches Filmfestival in Berlin: Von Aufbruch und Abschied
Seit zwölf Jahren bringt das Afrikamera afrikanisches Kino in die Hauptstadt. Dieses Jahr gibt es einen Schwerpunkt auf jüdisches Leben in Afrika.
In aller Ruhe wartet Mamargade (Ahmed Ali Farah) rauchend inmitten des Windes, der den Sand aufpeitscht, am Rande des Dorfs auf die Ankunft seiner Kunden. Neben ihm in der Erde das offene Grab, das er ausgehoben hat. Schließlich kommt ein kleiner Lastwagen herangefahren und wendet. Auf den Seitenplanken der Pritsche sitzt eine gute Handvoll Menschen, zwischen ihren Beinen liegt ein Leichnam. Er wurde bei einem Drohnenangriff getötet und in einem Dorf in der Nähe gefunden.
Nach der Beerdigung prellt ihn der Dorfimam um die Hälfte des vereinbarten Lohns. Weil das kein Einzelfall ist, nimmt Mamargade alle möglichen Tätigkeiten an, um als alleinerziehender Vater seinen Sohn Cigaal durchzubringen. Mo Harawes „The Village Next to Paradise“ zeigt den Alltag der Familie in einem Dorf in Somalia.
Seit 2009 lebt Harawe, der in Mogadischu geboren wurde, nach einem Filmstudium in Kassel in Österreich. Sein Langfilmdebüt feierte in der Sektion Un certain regard auf den Filmfestspielen von Cannes in diesem Frühsommer Premiere. Nun eröffnet der Film am Dienstag die diesjährige Ausgabe des Festivals Afrikamera, das seit 2012 afrikanisches Kino in Berlin sichtbar macht.
Auch in diesem Jahrgang widmet sich eine Reihe von Filmen der Geschichte der Unabhängigkeitskämpfe. So erzählt Amil Shivji in „Tug of War“ eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitskrieges in Sansibar gegen die Briten in den 1950er Jahren.
Widerstand, Freiheit und Unabhängigkeit
In teils hochstilisierten Bildern unterlegt mit einer eindrucksvollen Filmmusik treffen der junge kommunistische Widerstandskämpfer Denge und die junge Yasmin aufeinander. Er ist aus Europa nach Sansibar zurückgekehrt, um den Freiheitskampf voranzubringen, sie ist aus einer Zwangsehe mit einem reichen, alten Mann zu einer Freundin geflohen.
Sana Na N’Hada geht in „Nome“ ganz anders vor: Er durchwebt die Geschichte von Nome, einem jungen Mann, der während und nach dem Unabhängigkeitskrieg in Guinea-Bissau Karriere macht, erst zum Helden wird und später vor allem an seinen eigenen Vorteil denkt, mit Originalaufnahmen aus dem Kampf um die Unabhängigkeit von Portugal und mystischen Sequenzen. „Nome“ ist ein eindrucksvoller Versuch, neben der Würdigung der Kämpfer_innen für die Freiheit von den Kolonisator_innen auch die Versuchungen der Korruption und des Egoismus in den Blick zu nehmen.
Afrikamera findet vom 12. bis 17. November an fünf Standorten in Berlin statt. Mehr Informationen unter: www.afrikamera.de/
Dass es ein afrikanisches Kino jenseits des Ballastes der Geschichte gibt, davon wiederum zeugt der fünfte Film des südafrikanischen Regisseurs Jahmil X.T. Qubeka. „You’re My Favorite Place“ zeigt vier Freund_innen auf einem Roadtrip, mit dem sie aus der Enge von Rollenerwartungen ausbrechen. Qubekas Film ist all das, was ein gutes Roadmovie ausmacht: voll von Emotionen, Musik und skurrilen Begegnungen.
Unter dem Titel „Black Jews – Beta Israel“ setzt sich das Festival in diesem Jahr in einem Sonderprogramm am Beispiel äthiopischer Jüd_innen mit jüdischem Leben in Afrika auseinander. „Fig Tree“, das autobiographisch inspirierte Regiedebüt der äthiopisch-israelischen Regisseurin Aalam-Warqe Davidian, zeigt das Heranwachsen der jungen Mina mit ihrer Großmutter und ihrem Bruder Ende der 1980er Jahre am Stadtrand von Addis Abeba.
Rassismus gegen äthiopische Jüd_innen
Die Auswanderung der Familie nach Israel ist gleichermaßen Aufbruch und Abschied von der Gemeinschaft, in der Mina aufgewachsen ist. In ihrem zweiten Film, dem Dokumentarfilm „With No Land“, rekonstruiert Aalam-Warqe Davidian gemeinsam mit ihrem Mann Kobi Davidian, die Einwanderung äthiopischer Jüd_innen nach Israel. Im Zentrum des Films steht die Operation Salomon, mit der im Mai 1991 in weniger als zwei Tagen über 14.000 äthiopische Jüd_innen nach Israel gebracht wurden.
Das Ehepaar Davidian rekonstruiert durch Gespräche mit Zeitzeugen, mit historischem Filmmaterial und Schreiben der israelischen Botschaft in Addis Abeba die komplexe Geschichte. Im Film kommt sowohl die bewegte Geschichte Äthiopiens seit den 1970er Jahren als auch der Rassismus zur Sprache, mit dem Teile der israelischen Politik den Einwanderer_innen begegneten.
Auch 2024 ist es noch immer die Ausnahme, dass afrikanisches Kino im Kinoalltag sichtbar wird. Entsprechend hat Afrikamera auch zwölf Jahre nach seiner Gründung nichts von seiner Relevanz eingebüßt, afrikanisches Kino in Berlin sichtbar zu machen. Nach wie vor sollte man sich die Gelegenheit eine knappe Woche lang in fünf wunderschönen Kinos der Stadt – dem Arsenal, der Brotfabrik, dem City Kino Wedding, dem fsk und dem Sinema transtopia – afrikanisches Kino zu sehen, nicht entgehen lassen.
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