Afghanistan: "Die Karsai-Regierung ist am Ende"

Um das Schlimmste zu verhindern, müsste die Nato das Bündnis der Taliban mit den Stammesführern sprengen, meint der afghanische Politiker Ischak Gailani.

Moderate Taliban? Gibt es nicht, meint Gailani. Bild: dpa

taz: Herr Gailani, die Taliban haben in den letzten Wochen nicht nur durch eine Reihe von Entführungen von Ausländern von sich reden gemacht, sondern diese auch als eine neue Taktik verkauft. Gibt es wirklich eine neue Taktik?

Ischak Gailani: Das Problem ist nur deshalb entstanden, weil die Regierung von Präsident Hamid Karsai bei der Entführung des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo im März dieses Jahres zugestimmt hat, diesen im Tausch gegen gefangene Taliban freizulassen. Damit haben die Taliban die neue Taktik erst entdeckt. Jetzt verlangen sie, dass die Koreaner ihre etwa 200 in Afghanistan stationierten Soldaten abziehen und weitere 20 Taliban aus dem Gefängnis Pul-i-Charki bei Kabul entlassen werden. Das ist natürlich ein Teufelskreis. Sie werden versuchen, weitere Ausländer zu entführen, wenn sie damit Erfolg haben.

Was soll die Regierung nun tun?

Es bleibt ihr ja nichts anderes übrig, als wieder einen Kompromiss mit den Taliban zu schließen. Sonst werden die Geiseln sterben, daran besteht kein Zweifel. Die Taliban haben momentan eindeutig die Oberhand, weil die Regierung zu schwach ist, für die Sicherheit der Menschen in Afghanistan zu garantieren.

Wenn die Taliban militärisch nicht besiegbar sind, muss man sie dann nicht in irgendeiner Form an der Regierung beteiligen?

Ich glaube nicht, dass sich die Taliban überhaupt an der Regierung beteiligen wollen. Wenn, dann sind das taktische Manöver. Sie wollen die von den USA gestützte Regierung in Kabul stürzen. Das ist ihr Ziel, und sie werden sich auch nicht mit weniger zufriedengeben.

Aber Präsident Karsai führt doch schon seit längerem Gespräche mit so genannten "moderaten" Taliban. Besteht nicht vielleicht die Möglichkeit, einen Teil aus der Bewegung herauszubrechen?

Ich denke nicht, dass es so etwas wie moderate Taliban gibt. Taliban sind Taliban. Was sollte an dieser Ideologie moderat sein? Das Problem momentan ist, dass die Taliban auch von vielen lokalen Kommandanten unterstützt werden, die vielleicht die Ideologie nicht teilen, die aber die Präsenz ausländischer Truppen in Afghanistan ablehnen.

Also müsste man einen Keil zwischen die lokalen Kommandanten und die Taliban treiben?

Ja, das ist die einzige Möglichkeit. Die Regierung muss mehr mit den Delegationen der Stammesältesten und Islamgelehrten ins Gespräch kommen und diese wieder auf ihre Seite bringen. Vor allem im Süden und Osten Afghanistans.

Ist ein Abzug der internationalen Truppen eine Option?

Nein, auf keinen Fall. Eigentlich weiß hier jeder, dass es wieder zum Bürgerkrieg kommt, wenn die Nato abziehen würde. Die Menschen im Süden und Osten sind vor allem gegen die ausländischen Truppen, weil sie das Gefühl haben, dass sie ihnen bisher nichts gebracht haben. Weder Sicherheit noch Entwicklung. Da muss man ansetzen.

Also braucht die Nato eine andere Taktik?

Ja. Vor allem muss sie den Nachbarländern Afghanistans klar machen, wie lange sie hier bleiben will. Die Afghanen akzeptieren eine dauerhafte Besatzung durch die USA und die Nato nicht und der Iran und Pakistan auch nicht.

Aber ein Abzugsdatum wäre doch geradezu eine Einladung an die Taliban, bis dahin zu warten und dann zuzuschlagen?

Es geht nicht darum, einen Termin festzulegen. Sondern darum, glaubwürdig zu machen, dass man sich nicht dauerhaft in Afghanistan und in der Region einrichten will. Das akzeptieren die Afghanen nicht, deshalb unterstützen jetzt einige Stammesführer wieder die Taliban. An diesem Punkt muss die Nato ansetzen. Und sie muss deutlicher zwischen den Taliban und der Terrororganisation al-Qaida unterscheiden. Al-Qaida ist eine ausländische Organisation und wird auch von den Afghanen abgelehnt. Wenn die Nato gegen al-Qaida kämpft, findet sie Zustimmung. Und wenn die Nato die Stammesführer dann auch noch überzeugen kann, dass sie Arbeitsplätze und Entwicklung bringt, dann gibt es eine Chance. Aber das schafft die Nato natürlich nur, wenn die Mitgliedsstaaten an einem Strang ziehen und sich nicht untereinander bekämpfen.

Hat Präsident Hamid Karsai überhaupt noch eine Chance, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen und das Land unter Kontrolle zu bringen?

Ich glaube nicht. Karsai hat seine Glaubwürdigkeit bei den Stammesführern verloren. Es ist eine Tragödie, dass die Regierung so schwach und korrupt ist, obwohl wir erstmals in unserer Geschichte die Chance haben, dass die Welt uns wirklich hilft. Ich fürchte, dass diese Chance ungenutzt bleiben wird. Wir brauchen daher eine neue Regierung.

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