Afghanistan: Stammesführer tagen über Gewalt
Das Fernbleiben von Präsident Musharraf von dem afghanisch-pakistanischen Rat löst Notstandsgerüchte aus.

DELHI taz Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat am Donnerstag in der Hauptstadt Kabul eine dreitägige "Stammesdschirga" eröffnet. Rund 650 Vertreter zahlreicher Paschtunen-Stämme von beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze nehmen daran teil. Obwohl Dschirgas einzelner Clans auch grenzüberschreitend sein können, ist es das erste Mal, dass eine Versammlung zusammentritt, die von den beiden Nachbarstaaten einberufen wurde und die instabile Lage in der ganzen Grenzregion zum Thema macht.
In seiner Eröffnungsrede erklärte Karsai: "Wenn sich Afghanistan und Pakistan zusammenschließen, werden wir die Unterdrückung gegen beide Staaten besiegen können." Und Pakistans Premierminister Shaukat Aziz erklärte, die engen ethnischen Beziehungen beiderseits der Grenze bedeuteten, dass Ereignisse im einen Land auch das andere träfen.
Rund 300 Dschirga-Teilnehmer sind aus Pakistan nach Kabul gereist, doch fehlten zwei wichtige Gäste, deren Abwesenheit die Zielsetzung der Versammlung von vornherein gefährdet. Präsident Pervez Musharraf sagte seine Teilnahme kurzfristig ab und sandte an seiner Stelle den Premierminister. Und auch rund 65 Führer der Paschtunen aus Nord- und Süd-Wasiristan bleiben den Verhandlungen fern. Musharraf entschuldigte sich wegen anderer Verpflichtungen in der Hauptstadt. Das unerwartete Fernbleiden nährte sofort wilde Spekulationen in Pakistan, dass die Ausrufung des Ausnahmezustands unmittelbar bevorstehe. Doch Informationsminister Mohammed Ali Durrani dementierte dies gegenüber dem Nachrichtensender GEO TV.
Eine weitere Erklärung für Musharrafs Fernbleiben sind Sicherheitsbedenken. Die Zusammenarbeit zwischen den Geheim- und Sicherheitsdiensten beider Länder ist inzwischen so schlecht, dass man dem anderen nicht mehr über den Weg traut. Es ist aber auch möglich, dass Musharraf dem Ärger Islamabads über die USA und deren Schutzbefohlenen Karsai Luft machen wollte. Die bilaterale "Friedensdschirga" ist nicht das traditionelle Instrument der Konfliktlösung, als das es dargestellt wird, sondern war eine Kopfgeburt der Bush-Administration. Der US-Präsident hatte sie im vergangenen September aus der Taufe gehoben, als er die beiden Amtskollegen aus Kabul und Islamabad ins Weiße Haus gerufen hatte, damit sich diese im Interesse des gemeinsamen Kampfs gegen den Terror zusammenraufen. Das Treffen hatte aber zu keiner Beruhigung im Grenzgebiet geführt, das Zerwürfnis zwischen Afghanistan und Pakistan blieb bestehen.
Ebenso bedeutend wie das Fernbleiben Musharrafs ist jenes der Stammesführer aus Wasiristan. Einer von ihnen begründete die Absenz mit dem Satz: "Wie können wir vom Frieden reden, wenn das Haus brennt." Die Wasiris haben vor einigen Wochen ein Abkommen gekündigt, das sie im vergangenen Jahr mit der Regierung in Islamabad ausgehandelt hatten. Darin hatten sie sich verpflichtet, die Dschihad-Kämpfer in ihrem Stammesgebiet unter Kontrolle zu bringen. Im Gegenzug rief die pakistanische Armee ihre Soldaten aus der Region zurück. Es war ein Versuch Islamabads, der klären sollte, ob die traditionellen Stammesorganisationen noch fähig waren, ihre Autorität durchzusetzen. Sie waren es nicht, und es zeigte sich, dass die lokalen Taliban den Stämmen zunehmend die Autorität streitig machen. Ein anderer Wasiri-Führer erklärte denn auch sein Fernbleiben von der Friedensdschirga damit, dass eine solche Versammlung ohne die Anwesenheit der Taliban wenig Sinn habe.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!