Afghanisches Fußballnationalteam der Frauen: Tore statt Terror
Ein Stück sportliche Freiheit: Das afghanische Nationalteam trainiert zur Zeit in einer Sportschule in der Nähe von Stuttgart. In ihrer Heimat ist Fußball für Frauen verpönt.
Die Teambesprechung fällt kurz aus heute. "Ihr müsst die Ordnung einhalten und schnell abspielen", sagt Klaus Stärk. "Und sonst halte ich es mit Franz Beckenbauer: Geht raus und spielt Fußball." Die Spielerinnen der afghanischen Fußballnationalmannschaft lachen. Dann meldet sich eine zu Wort. Wie stark der heutige Testspielgegner sei, will sie wissen. Klaus Stärk lächelt. "Darüber sprechen wir nicht", sagt der Trainer. Und die jungen Frauen aus Afghanistan lachen wieder. Weil sie wissen, dass alle deutschen Teams, gegen die sie in diesen Tagen spielen, mindestens drei Klassen besser sind als sie. Aber fragen kann man ja trotzdem mal.
Das Kunstrasenfeld der Sportschule Ruit in der Nähe von Stuttgart ist spärlich von sechs Flutlichtern beleuchtet, es ist kalt an diesem Abend. Die Fußballerinnen des FV Löchgau laufen sich in geordneter Formation warm. Schüchtern beginnen auch die Mädchen aus Afghanistan mit ihren Übungen. Eine Hand voll Zuschauer spürt ganz deutlich, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen. Dann, kurz vor dem Anpfiff, ein erlösender Moment: Zum gemeinsamen Foto stellen sich die Teams bunt gemischt auf, als die Blitzlichter zünden, haben sie sich gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt. "Dass ihr hier heute mitspielt, ist euch hoch anzurechnen", hatte Klaus Stärk zu den Löchgauerinnen gesagt, "ihr macht echte Entwicklungshilfe." Für das Regionalligateam wird die Partie weniger sein als ein lockeres Trainingsspielchen. Für die Fußballerinnen aus Afghanistan ist es Teil eines großen Abenteuers.
Zwölf Tage lang sind sie in Deutschland zu Gast, der Aufenthalt ist Teil eines Fußballprojekts, das der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Bundesregierung 2003 auf die Beine gestellt haben. Damals gab es nichts in der Gegend um die afghanische Hauptstadt Kabul, heute spielen 22 Mädchenmannschaften in einer eigenen Liga gegeneinander. Dass Frauen Fußball spielen, muss man als Teil ihrer Befreiung aus den gesellschaftlichen Zwängen sehen, die auch sieben Jahre nach dem Sturz des radikal-islamischen Taliban-Regimes noch groß sind. Die Eltern haben jedenfalls oft kein gutes Gefühl dabei, wenn sie ihre Töchter kicken lassen. "Sie fürchten Konsequenzen, wenn sie ihren Mädchen das Training erlauben - sie haben Angst um ihre Kinder", sagt Keramuddin Karim, der afghanische Fußballpräsident. "Es ist ein Risiko", sagt Fußballlehrer Stärk, der das Projekt leitet. Trainiert und gespielt wird in Kabul immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und auch von diesem Auslandsaufenthalt sollten in Afghanistan nicht viele Leute etwas mitbekommen.
In der Sportschule Ruit sind die afghanischen Fußballerinnen in den vergangenen Tagen dagegen das Medienereignis. Zu einer Pressekonferenz Anfang vergangener Woche kamen mehr als 20 Journalisten, seitdem geben sich Reporter und Kamerateams die Klinke in die Hand. Auch Nabila Karimi, die aus Kabul stammt und für die Deutsche Welle ein Frauenmagazin macht, ist extra aus Bonn gekommen, um Eindrücke und O-Töne zu sammeln. "Die afghanischen Spielerinnen sind sehr jung", sagt sie, "und wenn es im technischen Bereich vielleicht noch Probleme gibt, sie haben einen großen Kampfgeist."
Natürlich beschäftigt sich die Radioreporterin auch mit dem Selbstverständnis der jungen Frauen aus ihrer Heimatstadt. "Sie sind selbstbewusst", erklärt sie, "und sie sagen: Entweder heirate ich einen Mann, der dem Fußballsport zustimmt - oder ich heirate gar nicht." Im Übrigen sei es grundfalsch, die afghanischen Fußballerinnen zu behandeln, als kämen sie aus einer völlig anderen Welt. "Wenn wir die Taliban-Zeit ausblenden, war es in Afghanistan für Mädchen schon möglich, Sport zu treiben. Vielleicht nicht gerade Fußball, aber Volleyball, Basketball und Tischtennis wurde in den Schulen immer gespielt", sagt Nabila Karimi.
Trotzdem passt das Frauenthema gut ins Bild. "Wir wollen die negative Einstellung der Leute gegenüber Frauen und Fußballerinnen ändern", sagt eine der Nationalspielerinnen mit entschlossener Stimme im Fernsehinterview. Sie genießen es, an diesen Tagen in Deutschland freier zu sprechen als sonst. Und sie können es auch, weil sie in Europa eine andere Angst völlig ablegen dürfen - die Angst vor dem Terror, die noch immer eine große Rolle spielt in ihrem Leben. "Am Tag nach einem Anschlag habe ich wirklich Angst", sagt Razia Rasoul, die 16-jährige Stürmerin, die so gerne Profifußballerin werden würde. Klaus Stärk, der regelmäßig nach Kabul geflogen ist, will es sich nach dem Anschlag auf ein Hotel Mitte Januar ganz genau überlegen, ob er überhaupt wieder zurückkehrt. Er hat manchmal die Befürchtung, dass das ganze Fußballprojekt bisweilen auf sehr wackligen Beinen steht. "Es kann jeden Tag vorbei sein", sagt Stärk.
Es ist noch kälter geworden auf dem Kunstrasenplatz in Ruit. Die Fußballerinnen des FV Löchgau haben es langsam angehen lassen und erst nach 14 Minuten ihr erstes Tor gegen Afghanistan geschossen. Und irgendwann haben sie die Afghaninnen ganz fair auch einen Treffer erzielen lassen. Danach haben sie zusammen zu Abend gegessen und sich über Dinge unterhalten, über die sich junge Frauen in diesem Alter so unterhalten. Und vermutlich ist es auch um Fußball gegangen.
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