KOMMENTAR: Affäre Staatskanzlei
■ Der hessische Abhörskandal mausert sich zur handfesten Regierungskrise
Mein Freund Gottfried Milde genießt mein vollstes Vertrauen“, meinte der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) noch vor Wochenfrist, als die Affäre in der Staatskanzlei noch eine schlichte Affäre Milde war. Vor drei Tagen nun gab Wallmann dem bereits zurückgetretenen Innenminister endgültig den Laufpaß und ernannte den Rechtsausleger der hessischen Union, Hartmut Nassauer, zum neuen Innenminister. Ein Comeback Mildes in eine nach den Landtagswahlen von CDU und FDP angestrebte erneute schwarz-gelbe Landesregierung ist damit ausgeschlossen.
Die Legende vom Einzeltäter Milde, der aus Fürsorge für seinen Ministerpräsidenten klammheimlich einen Verfassungsbruch plante und ihn am 24. Oktober vor dem Landtag vollzog, implizierte den Abgang des vermeintlichen Protagonisten von der Regierungsbühne. Mit der Demontage Mildes haben die eigentlichen Drahtzieher in der Staatskanzlei nämlich den auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit pochenden Koalitionspartner FDP ruhiggestellt — und sich selbst hinter dem breiten Rücken des geschaßten Innenministers verstecken können. Jetzt müssen Walter Wallmann und sein Adlatus Alexander Gauland, die zwei Tage zuvor zusammen mit Milde und anderen Unionisten den Verfassungsbruch als Attacke gegen Opposition und „Scheckbuchjournalismus“ ausheckten, nur noch dafür sorgen, daß alle Beteiligten auf die Version vom Einzeltäter Milde eingeschworen werden. Doch die Staatsanwälte, die gegen Milde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet haben, werden bald auf all die Widersprüche in den Aussagen der Staatskanzlei stoßen, die schon jetzt im hessischen Landtag offen gehandelt werden.
Die Affäre scheint selbst die SPD-Fraktion im Landtag aus ihrem dreieinhalb Jahre währenden Dornröschenschlaf geweckt zu haben. Insgesamt 14 offene Fragen zum Thema knallte SPD-Sprecher Starzacher dem Ministerpräsidenten am Dienstag auf die Regierungsbank — darunter auch die politisch brisanteste von allen: Wieso erhielt Innenminister Milde von einem Sonderkommando der Polizei, das gegen die Bordellkönige Beker ermittelt, ein der Staatsanwaltschaft gehörendes Abhörprotokoll? Und aus dieser Frage ergibt sich gleich die nächste: Gab es nur in diesem Fall zwischen der Polizei und dem Innenministerium respektive der Staatskanzlei einen illegalen kurzen Dienstweg — oder bekamen Milde und Wallmann/Gauland alles in die Finger, was von politischem Interesse für die Landesregierung war?
Joschka Fischer jedenfalls prophezeite der Landesregierung „einen Striptease auf der Regierungsbank“. Mit dem Abgang Gottfried Mildes hat die Regierung Wallmann allenfalls das Rattenfell am Mantelkragen abgeknöpft — Opposition und Staatsanwaltschaft müssen die Herren in der Staatskanzlei noch bis auf die Sockenhalter ausziehen. Klaus-Peter Klingelschmitt
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