AfD in Bitterfeld : Im Osten nichts Neues
In Bitterfeld-Wolfen gehört die AfD zum politischen Alltag. Viel wird ihr nicht entgegengesetzt.
von THILO ADAM
Bitterfeld-Wolfen: Nirgendwo war die AfD bei Landtagswahlen erfolgreicher – deutschlandweit. Daniel Roi sicherte sich letztes Jahr bei der Wahl zum Landtag von Sachsen-Anhalt das Direktmandat im Wahlkreis Wolfen, knapp ein Drittel der WählerInnen stimmte für ihn. Auch den Wahlkreis Bitterfeld gewann mit Volker Olenicak ein AfD-Kandidat, ebenfalls mit mehr als 30 Prozent der Stimmen. In Bitterfeld-Wolfen saß nun zum ersten Mal ein AfD-Politiker mit am Runden Tisch von taz.meinland.
Die Stadt hat ein Schmuddel-Image. Jahrzehntelang war Bitterfeld die Chemiehochburg der DDR, zudem wichtiges Braunkohlegebiet. Abwässer, Chemieabfälle, Abgase – alles wurde unkontrolliert in die Umwelt geleitet, Wäsche hängten die AnwohnerInnen allenfalls sonntags auf den Balkon. Bitterfeld galt als schmutzigste Stadt Europas.
Doch der Dreck ist Geschichte. Die ehemaligen Braunkohlegruben sind heute ein Naherholungs- und Seengebiet. Angesichts der Wahlergebnisse von 2016 spricht mancheR BeobachterIn dafür nun von der „braunsten“ Stadt Deutschlands. Und vor Ort zeigt sich schnell: Die AfD gehört, obwohl gerade einmal drei Jahre alt, zum politischen Establishment.
Zusammenarbeit trotz Rechtspopulismus
Daniel Roi und Oberbürgermeister Armin Schenk (CDU) duzen sich auch am meinland-Tisch. Die beiden kennen sich von der gemeinsamen Arbeit im Stadtrat. „Uns eint eine lange politische Auseinandersetzung“, sagt Schenk, „ich schätze ihn zwar nach wie vor als Rechtspopulisten ein, mit gewählten Politikern zu sprechen und zusammenzuarbeiten, sollte aber trotzdem selbstverständlich sein.“
Zu einem solchen Gespräch im meinland-Rahmen hatte sich auch Bettina Kutz, Fraktionsvorsitzende der Linken im Kreistag, ganz umstandslos bereit erklärt. Sie analysiert den lokalen Erfolg der AfD dann allerdings wenig innovativ: „Viele, die sich hier abgehängt fühlen, wollten einfach mal eine Marke setzen.“
Dass es diese Abgehängten in Bitterfeld-Wolfen in großer Zahl gibt, bestreitet niemand. Gleich zwei schwere Wirtschaftsschocks machten der Region in den letzen dreißig Jahren zu schaffen. Mit dem Zusammenbruch der DDR verlor die Stadt ihre Bedeutung als Chemiestandort. Gleichzeitig verschlangen die Renaturierung der Tagebaugruben Goitzsche und umfassende Umweltsanierungsmaßnahmen finanzielle Mittel.
Die Ansiedlung eines der größten Solarparks Europas versprach nach der Jahrtausendwende Besserung. InvestorInnen und ArbeiterInnen kamen nach Bitterfeld – bis mit Q-Sells der größte örtliche Solar-Player Insolvenz anmeldete. Inzwischen setzt man wieder auf Chemie. Der neue Chemiepark ist modern, umweltfreundlich und – bisher – wirtschaftlich erfolgreich.
Geplänkel statt Kontroversen
„Wer dort im Großkonzern arbeitet, hat quasi einen Sechser im Lotto“, sagt der ehemalige Umweltdezernent im Kreis Anhalt-Bitterfeld, Fred Walkow (SPD), „nur leider sind das viel zu wenig Bitterfelder oder Wolfener“. Dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt mit unter fünf Prozent zumindest auf dem Papier dennoch extrem niedrig ist, lässt niemand am Tisch gelten. „60 Prozent der Menschen hier sind im Niedriglohnsektor beschäftigt“, sagt Blogger und Grünen-Mitglied Stefan Krabbes. Die versteckte Arbeitslosigkeit sei hoch.
Von rechts nach links ist man sich, das zeigt das Gespräch, einig: Die wirtschaftliche Lage in Bitterfeld hat irgendwie mit der Globalisierung zu tun. Was aber soll daraus folgen? Daniel Roi schaut lieber zurück: „Hier verbaute Solarmodule wurden gefördert, obwohl nicht eine einzige Schraube aus Deutschland kam. China führt einen Wirtschaftskrieg und unsere Politik artikuliert ihre Interessen nicht.“
Auch Bettina Kutz' Antwort überzeugt kaum. Sie setzt gegen die prekäre Beschäftigungssituation auf Altbewährtes, namentlich Gewerkschaftsarbeit. OB Schenk dagegen scheint ganz zufrieden mit sich und der Stadt. Er spricht von „Stolz“ und einer „tollen industriellen Entwicklung“, fordert aber auch Geduld: Er sei ja erst fünf Monate im Amt. Seine Erfahrungen im Bereich Wirtschaftsförderung sind alle am Tisch wiederum sofort bereit, als Chance zu sehen. Inhaltliche Kontroversen? Fehlanzeige. Es bleibt bei Geplänkel.
Was ist der Grund für den Frust?
Auch, als das Gespräch auf ein altes Streitthema kommt, die Kreisgebietsreform von vor zehn Jahren. Damals fusionierten die Städte Bitterfeld und Wolfen sowie die Ortschaften Thalheim, Greppin und Holzweißig. Bitterfeld verlor seine Stellung als Kreissitz, Daniel Rois politisches Interesse war geweckt, Jahre vor Gründung der AfD.
Er habe damals „tiefen Frust“ in der Bevölkerung ausgemacht, sagt Roi. „Dinge sind am Bürger vorbei entschieden, Meinungen nicht ernst genommen worden.“ Zu den Frustrierten zählt er sich selbst bis heute. Stärkung der Kommunen, Bürgerbeteiligung – Rois politischer Antrieb hätte ihn auch ins linke Spektrum tragen können. Der Vorwurf aus dem Publikum: „Hier sprechen Sie von Wirtschaft und Demokratie, draußen hängen ganz andere Plakate, plumpe, platte Parolen. Das sieht aus, wie früher bei der NPD.“
Wie steht er denn nun zu den neuen Deutschen? Roi spricht von „Parallelgesellschaften und Clanstrukturen“, sagt, er habe nichts gegen Migranten, „wir müssen aber zurück zu Dublin II, zurück zum Rechtsstaat“. Sorgt tatsächlich die diffuse Angst vor „den Neuen“ für die Erfolge der Bitterfelder AfD? Wie fast überall im Osten sind hier vergleichsweise wenig Geflüchtete untergebracht. Sie machen kaum ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Verlorenes Vertrauen in etablierte Parteien
Problematisieren will die MigrantInnen niemand. Dem Oberbürgermeister ist nichts davon bekannt, dass es schwierig sei, hier Wohnungen für Geflüchtete zu finden. Da steht eine Wolfenerin aus dem Publikum auf: „Ich bin seit zwei Jahren stolze Patenmutti einer syrischen Familie. Jetzt hat mich eine weitere sechsköpfige Familie um Hilfe gebeten. Die konnte ich aber nirgends im Ort unterbringen.“
Das Gespräch bleibt konfus. Der nächste steht auf: „Ich habe bis letztes Jahr jeden Tag 14 Stunden gearbeitet, ich bin platt“, sagt der Zuhörer. „Ich habe der Gesellschaft genug gegeben. Jetzt habe ich das verdammte Recht zu fragen, was mit meinem Geld passiert.“ Er überlege, bald in die AfD einzutreten. Von den anderen Parteien fühlt er sich im Stich gelassen.
Mit seinen sozioökonomischen Erfahrungen, dem verlorenen Vertrauen in etablierte Parteien und der vagen Beklemmung angesichts von Zuwanderung steht der Mann wohl stellvertretend für viele in Bitterfeld-Wolfen. Nicht nur Geringverdienende wählen hier die AfD. Und offensichtlich sind die meisten bereit, die Widersprüche im Auftreten der Partei auszuhalten.
Einerseits kann man der AfD ihre parlamentarischen Erfolge in Stadt, Kreis und Land nicht absprechen. Ihre Asyl-Resolution im Kreistag zum Beispiel wurde 2015 nach kleinen Änderungen mit Zustimmung aller Fraktionen, ausgenommen die der Linken, beschlossen. Dem gegenüber stehen die Social-Media-Auftritte der Abgeordneten. Fast alle nutzen die gewohnten Muster, instrumentalisieren Fälle von „Ausländerkriminalität“ für den Stimmenfang. Oder jüngst: Der „Russlandkongress“ von Rois Magdeburger Landes-AfD – krude Verschwörungstheorien, Antiamerikanismus, offener Antisemitismus.
Keine Alternativen zur AfD?
Bettina Kutz und die anderen müssen sich vorwerfen lassen, der AfD nur wenig Substantielles entgegenzusetzen. Angriffsfläche gäbe es genug. So aber kann sich die Partei erfolgreich als demokratische und durchsetzungsstarke Alternative inszenieren.
Denn unsere taz.meinland-Veranstaltung zeigt besonders eines: Professionell mobilisiert im Ort vor allem die AfD. Ihre lokale Prominenz, der Bundestagskandidat und beide Landtagsmitglieder, sind im Publikum, dazu einige AnhängerInnen. Statements werden konzertiert beklatscht. Fakten permament am Smartphone gegengecheckt. Von Politikverdrossenheit kann bei den Organisierten keine Rede sein. Als einzige sind sie regelmäßig mit einem Stand auf dem Marktplatz vertreten. Vielleicht erklärt das ihre politische Wucht vor Ort.
Wollen die Bitterfeld-WolfenerInnen bei der Bundestagswahl nicht wieder bundesweite Aufmerksamkeit erregen, kommt auf die etablierten Parteien wohl noch viel Arbeit zu. Bei der Oberbürgermeisterwahl im Herbst ist das immerhin gelungen: der AfD-Bewerber kam nicht in die Stichwahl. Jetzt ist er Bundestagskandidat.