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AfD-Sprech vom State Department

Ein Propagandapamphlet der US-Regierung sieht mangelnde Meinungsfreiheit in Europa

Von Bernd Pickert

Der neueste „Bericht“ des US-Außenministeriums über Bürgerrechte und Meinungsfreiheit in Europa liest sich wie eine umgewandelte Fassung der Münchner Rede von Vizepräsident J. D. Vance. In Deutschland und anderen europäischen Ländern sei die Meinungsfreiheit eingeschränkt, heißt es da – gemeint sind Praktiken gegen Hassrede und Beleidigungen in sozialen Medien. Im übrigen versage Deutschland im Kampf gegen Antisemitismus und weise fälschlicherweise antisemitische Äußerungen überwiegend der rechtsextremen Szene zu, wo doch offensichtlich sei, dass die muslimische Einwanderung Schuld an der gestiegenen Anzahl antisemitischer Vorfälle sei. Außerdem sei es sehr bedenklich, dass sich die Regierung durch den Vorwurf des „Extremismus“ Oppositionsparteien vom Halse halten wolle, kritisiert der „Bericht“ in direkter Übernahme von AfD-Sprech gegen den Verfassungsschutz.

Es gab Zeiten, da folgten selbst solche – wenngleich immer auch politisch gefärbten – Berichte des Außenministeriums zumindest noch gewissen handwerklichen Standards. Das ist vorbei: Was die von Marco Rubio geleitete Behörde da jetzt veröffentlichte, ist reine ideologische Propaganda.

Kein Wunder, dass Menschenrechtsorganisationen die „Berichte“ umgehend zurückwiesen. Von der Regierung unter Präsident Donald Trump eingeführte Veränderungen seien ein „radikaler Bruch“ mit der Vorgehensweise, die Menschenrechtslage in jedem Land der Welt „objektiv und unparteiisch“ zu beschreiben, sagte die Präsidentin von Human Rights First, Uzra Zeya. Die Direktorin für Regierungsbeziehungen bei Amnesty International in den USA, Amanda Klasing, warf dem Außenministerium eine „sehr selektive Dokumentation“ vor. Eine Sprecherin von Human Rights Watch sagte, schwere Menschenrechtsvergehen verbündeter Regierungen würden vertuscht. Zu El Salvador, das sich auf direktem Weg in eine Diktatur befindet, kann der entsprechende US-Bericht keine Menschenrechtsverletzungen feststellen.

Auch die Bundesregierung kann in den Vorwürfen keine Wahrheit entdecken: „Wir sehen die Presse- und Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch in Berlin. Deutschland sei eine „gefestigte Demokratie mit einem sehr breiten Schutz der Meinungsfreiheit“, in der keine Zensur stattfinde, ergänzte Regierungssprecher Steffen Meyer.

Auch der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn wies die Kritik zurück. Aber er wäre nicht der nach ganz rechts weit offene Jens Spahn, wenn er nicht zugleich denn doch vor einer zu starken Einschränkung des Diskurses warnen und fordern würde, gesellschaftliche Debatten, etwa über Migration, nicht vorschnell zu tabuisieren. (mit epd)

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