Äußerungen zur Jugendkriminalität: Merkels kunstvolle Verrenkungen
Auf einer Pressekonferenz äußerte sich die Kanzlerin zur Jugendkriminalität - und zeigte sich so nah dran an Koch wie nötig und so weit weg von ihm wie möglich.
Nicht bewegen und trotzdem Handlungsfähigkeit demonstrieren, nichts Aufregendes sagen und trotzdem eine Botschaft verkünden - so hatte Angela Merkel ihren Auftritt vor der Bundespressekonferenz in Berlin geplant. Und genauso brachte sie ihn am Dienstagmittag auch über die Bühne. Die Kanzlerin unterstützte den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch - und distanzierte sich gleichzeitig sehr vorsichtig von ihm. Die Kanzlerin erklärte die verletzenden Töne zwischen Union und SPD zur Normalität eines Wahlkampfes - und forderte beide Parteien gleichzeitig zu mehr Fairness auf. Die Kanzlerin lobte die Arbeit der großen Koalition - und machte gleichzeitig die unterschiedlichen Positionen beider Partner deutlich.
Anlass für diese kunstvolle Verrenkung war ein angebliches Missverständnis. Merkel sei irritiert, so flüsterten ihre Vertrauten im Kanzleramt. Sie habe mit Sorge registriert, dass ihre Unterstützung für Roland Kochs Wahlkampfkampagne selbst in bürgerlichen Kreisen als Verrat an ihrer eigenen, liberalen Politik verstanden wurde. Und Merkel sah mit einigem Entsetzen, dass der Streit über Kochs Attacken auf "kriminelle Ausländer" die Stimmung in der Koalition fast stündlich verschlechterte. So fiel am Sonntagabend in ihrem Küchenkabinett die Entscheidung: Eingreifen. Reden. Richtigstellen.
Merkel verlegte den für Ende Januar geplanten routinemäßigen Auftritt vor der Bundespressekonferenz einfach vor. Unter dem Allerweltstitel "Aktuelle Fragen der Innen- und Außenpolitik" sagte sie am Dienstag das, was sie sagen wollte - keinen Satz mehr und keinen weniger. Sie sprach über den ökonomischen Aufschwung, das sich verschlechternde weltwirtschaftliche Klima, die Erbschaftssteuerreform, Iran, China, Sarkozy. Das alles überragende Thema war jedoch Kochs Kampagne gegen die Jugendkriminalität.
Merkel verteidigte das Vorgehen des hessischen CDU-Ministerpräsidenten vehement. "Im Wahlkampf darf es keine Tabuthemen geben", sagte sie. Sie lobte Koch dafür, dass er ein Thema aufgegriffen habe, was viele Menschen bewege, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. "Die Mehrheit der Migranten möchte genauso sicher U-Bahn fahren können wie die Mehrheit der Deutschen."
Merkel betonte mehrfach, dass es sich um keinen hessischen, sondern um einen gemeinsamen Wahlkampf der CDU handele. Sie erneuerte die Forderung, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Sie zeigte sich unbeeindruckt davon, dass über 1.000 Jugendrichter, Staatsanwälte und Wissenschaftler in einer Resolution dagegen protestieren. Auch unter den Experten gebe es unterschiedliche Ansichten. Sie jedenfalls bleibe dabei: Ein Warnschussarrest sei sinnvoll.
Nicht laut, aber doch unüberhörbar distanzierte sich die CDU-Vorsitzende von Kochs einfachen Konzepten zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. "Dass es nicht die perfekte Lösung, nicht nur die eine Lösung für dieses Problem gibt, das weiß ich." Sie sprach über die Bedeutung der "Prävention", über die Notwendigkeit eines "umfassenden Konzepts für die innere Sicherheit", über die Berechtigung von "Strafen" in den Fällen, "wo nichts anderes mehr geht". "Ich war vier Jahre Jugendministerin", betonte sie. Nach diesem Auftritt soll keiner mehr sagen können, die CDU-Chefin habe ihre Liberalität einem Hardlinerwahlkampf geopfert. So nah dran an Koch wie nötig, so weit weg von Koch wie möglich - so will Merkel gesehen werden.
Und keiner soll mehr sagen, die große Koalition gehe ihrem Ende entgegen. "Mitnichten!", lautete die Antwort der Kanzlerin. Streit im Wahlkampf? "Üblicher Dissens." Nach den Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen und Hamburg werde wieder gemeinsam regiert, man habe noch viel vor. "2008 ist ein Schlüsseljahr für den Erfolg der großen Koalition."
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