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Ärztliche Nabelschau wie anno 1873

■ Betr.: Ärztetage provozieren Widerspruch

Ärztetage provozieren Widerspruch

Mit dem Absingen des Deutschlandliedes wurde am Dienstag in Hamburg der 94. Deutsche Ärztetag (seit 1873) feierlich eröffnet. Staatstragend (auch der Bundeskanzler kommt), national (zum ersten Mal gesamtdeutsch) und ständisch (Ärzte bleiben unter sich) repräsentiert die Jahreshauptversammlung der Bundesärztekammer die Macht der Ärztelobby.

Sie steht im Gegensatz zur fehlenden Bereitschaft, verantwortlich Gesundheitspolitik mitzugestalten.

Der auch von Ärzten nicht länger zu ignorierende frustrierte Marsch der Pflegenden aus den Institutionen, analog dem Waldsterben als Pflegenotstand fatalisiert, war bisher kein Anlaß, hierarchische Denk- und Organisationsstrukturen und damit sich selbst in Frage zu stellen. Ein gleichberechtigter Dialog, geschweige denn eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in grundsätzlichen gesundheitspolitischen Fragen mit nichtärztlichen Berufsgruppen oder gar den Patienten ist nicht in Sicht.

Angesichts ärztlicher Behandlungsfehler und den beunruhigenden Meldungen über Tötung von Patienten in medizinischen Einrichtungen wird deren Ohnmacht und Rechtlosigkeit besonders deutlich — Folgen des gesellschaftlich tolerierten Machtanspruchs der Medizin(er).

Die zunehmenden Versorgungsprobleme chronisch Kranker, Behinderter und alter Menschen könnten ein wichtiges Thema des Ärztetags sein. Während in vielen westlichen Ländern zum Beispiel geriatrische Einrichtungen, Lehrstühle und damit Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bereits seit langem existieren, droht die Einführung dieses Spezialgebietes in Deutschland am Widerstand der Mehrheit der Niedergelassenen zu scheitern. Konkurrenzängste und das selbstgerechte Gefühl, alles bereits optimal im Griff zu haben, stehen wieder einmal medizinischen Reformen im Wege.

Ärztetage waren in den letzten Jahren deshalb immer von oppositionellen Gegenveranstaltungen und Aktionen begleitet. Dieses Jahr ruft die Opposition in der Ärztekammer Hamburg in Verbindung mit der ÖTV, Berufsverbänden der Kranken- und Altenpflege, Patienteninitiativen und Selbsthilfegruppen zu einer Veranstaltung auf mit dem Thema: Hierarchie — heilige Herrschaft der Ärzte über Pflegepersonal und Patienten.

Die Veranstalter wollen beispielhaft zeigen, daß eine Medizin und Pflege der Zukunft nur durch ein Umdenken verwirklicht werden können. Dazu ist jedoch Öffentlichkeit erforderlich, die ihre politische Verantwortung als Bürger und Steuerzahler wahrnimmt und erkärt: Wir sind die Patienten! 94 Ärztetage im Stil von 1873 sollten dafür Provokation genug sein. Dr.Bernd Kalvelage, Hamburger Ärzteopposition

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