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Ärztliche BehandlungsfehlerPfusch am Bauch

Die Zahl der Beschwerden über ärztliche Behandlungsfehler steigt. Nur ein Viertel der Fälle landet bei einer Schlichtungsstelle. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher.

Vergessene Arztschere im Körper einer Australierin, 18 Monate nach der OP per Röntgenbild diagnostiziert. Bild: ap

BERLIN taz | Immer mehr Menschen in Deutschland beschweren sich über Behandlungsfehler in Krankenhäusern und Arztpraxen. Im vergangenen Jahr haben knapp 11.000 Menschen ihren Fall den Schlichtungsstellen bei den Landesärztekammern vorgelegt. Das sind noch einmal fünf Prozent mehr als 2007. "Jeder Fehler ist einer zu viel, aber sie passieren", sagte Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, bei der Präsentation der Zahlen am Donnerstag in Berlin.

Insgesamt beschweren sich laut Bundesärztekammer im Jahr rund 40.000 Menschen über angeblichen Ärztepfusch, davon landet allerdings nur ein Viertel bei den außergerichtlichen Schiedsstellen. Der Rest werde direkt über die Haftpflichtversicherer und Krankenkassen aufgearbeitet - oder landet gleich vor Gericht. Darunter seien vor allem schwere Fälle, etwa wenn bei einer Operation fälschlicherweise das linke anstelle des rechten Beins amputiert oder das Operationsbesteck in der Bauchhöhle vergessen wurde.

Bild: taz-grafik:infotext/a.brühl

Allerdings wurde nur knapp jeder dritte Fall, der im vergangenen Jahr einer der Schlichtungsstellen vorlag, am Ende auch als Behandlungsfehler anerkannt. Da diese Stelle bei den Ärztekammern angesiedelt ist, werfen Patientenorganisationen ihr jedoch immer wieder vor, nicht völlig unabhängig zu sein. Die Ärzteschaft bestreitet dies. Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel (SPD), verlangt, dass an den Schlichtungsverfahren auch Patientenvertreter beteiligt sein sollen. Das sei bisher nicht überall der Fall.

Rund 70 Prozent der beklagten Fehler passieren in Krankenhäusern. An erster Stelle der Fälle, bei denen die Schlichtungsstellen der Ärztekammern einen Behandlungsfehler anerkannt haben, lagen im Jahr 2008 Komplikationen bei künstlichen Hüftgelenken. Bei Operationen sei es beispielsweise mehrfach vorgekommen, dass wegen Fehlern der Ärzte Nerven geschädigt wurden, nach dem Eingriff das eine Bein länger war als das andere oder sich in der Hüfte unbemerkt Eiter bildete, berichtete die Orthopädin Renée Fuhrmann bei der Pressekonferenz der Bundesärztekammer. In den Arztpraxen rangierten im Jahr 2008 die Fälle an der Spitze der Fehlerliste, bei denen eine Brustkrebsdiagnose falsch war.

Die wirkliche Zahl der ärztlichen Behandlungsfehler in Deutschland dürfte allerdings deutlich höher liegen, als von der Bundesärztekammer eingeräumt. Die Dunkelziffer ist enorm.

Berechnungen der EU-Kommission zufolge kommt es bei rund jeder zehnten Behandlung in Krankenhäusern zu Beschwerden, die nicht direkt in Zusammenhang mit der Krankheit stehen. Dazu zählen chirurgische Behandlungsfehler, fehlerhafte Medikation oder eine falsche Diagnose. Allein die Zahl der vermeidbaren Infektionen belaufe sich jährlich auf mehr als vier Millionen Fälle.

Laut dem "Aktionsbündnis Patientensicherheit" werden bei fünf bis zehn Prozent der jährlich etwa 17 Millionen Klinikbehandlungen in Deutschland Patienten Opfer von "unerwünschten Ereignissen". Bei einem Drittel dieser Fälle liegt ein Fehler vor, das entspräche 280.000 bis 560.000 Fällen von Ärztepfusch pro Jahr. Bis zu 17.000 Menschen sterben demnach an den Folgen. Das Ärzte-Bündnis hatte im vergangenen Jahr öffentlichkeitswirksam eigene Behandlungsfehler bekannt gemacht und die Ärzteschaft zu einem offeneren Umgang mit diesem Thema aufgefordert.

Das fordert auch die Patientenbeauftragte der Regierung. "Wir brauchen in allen Krankenhäusern ein verbindliches Fehlermeldesystem", sagte Kühn-Mengel der taz. Dabei müssten auch Beinahe-Fehler miteinbezogen werden - ähnlich wie bei Airlines. Zwar betrieben einige Krankenhäuser ein solches Risikomanagement, bisher aber nur freiwillig. Ein entsprechendes "Patientenrechtegesetz" sei aber erst nach der Bundestagswahl realistisch.

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9 Kommentare

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  • HB
    Hanne Bambel

    Dass das Gesundheitssystem zu einer Dienstleistungsbranche verkommt ist eine Begleiterscheinung der fortschreitenden Kapitalisierung unserer Gesellschaft. Das allein ist schlimm genug und es gilt sich dessen zu wehren! Es bestehen nämlich grundlegende Unterschiede ziwschen Gesundheit und anderen "Waren" - sie ist nicht wiederbringlich, kann also (meiner Meinung nach) nicht gehandelt oder mit Geld aufgewogen werden. Dass Fehler passieren ist unvermeidlich - es gilt sie gerade in diesem Bereich zu minimieren! Man sollte also einen Bericht (mit schön schaurigen Zahlen die man erst mal genaustens hinterfragen sollte! Die kleine Infografik ist z.B. falsch, was die Beschriftung der Anteile am Behandlungsfehlerkuchen betrifft) nicht mit Ärzte-Bashing beantwortern sondern konstruktiv daran teilhaben! Verschwörungstheoretiker wie DonWolli sehen einen Artikel der tendenziös (Dunkelziffer enorm? Beweise? Journalismus?) über so ein heikles Thema berichtet aber als eine willkommene Möglichkeit sich unkritisch dazu zu äussern. Für die überzogenen Arbeitszeiten allein die Poltik verantwortlich zu machen wird dem Problem nicht ganz gerecht. Wenn aber die Ärzteschaft anstatt für mehr Geld für weniger Arbeit kämpfen und demonstrieren würde, käme es höchstwahrscheinlich auch zu weniger Fehlern. Junge Ärzte stehen aber scheinbar in einem hohen Konkurrenzdenken, welches durchaus von Klinikbetreibern und Chefärzten gewollt ist. Der Marburger Bund vertritt hier auch nur unzureichend die Interessen der jungen Mediziner (und damit der Patienten). Darum: Solidarisiert euch!

  • B
    Bäääääärärrk!

    Selbst wenn ein Arzt seinen Fehler einsieht und via gesetzlich vorgeschriebene Haftpflicht gerne regulieren möchte, kommt leider folgende Situation auf ihn zu, i.d.R. verweigern Versicherer erst einmal, da es immer nur um Gewinnmaximierung geht, eine korrekte Zahlung und nötigen dem Betroffenen lieber einen Jahre währenden Prozess auf. Zum einen um den Geschädigten mürbe zu machen, zum anderen um wenigstens einen Vergleich zu Gunsten der Versicherung raus zu schinden. Unterm Strich ist der Arzt auf jeden Fall der Dumme, denn der wird sofern die Versicherung zahlen muss zunächst gekündigt, komm sofort auf die Schwarze Liste der Versicherer, und hat dann seine liebe Not eine neue Versicherung zu erhalten. Ohne Versicherung jedoch keine Berufsausübung. Scheiß Spiel. Somit wird der Vertuschung und Verharmlosung bis ins kriminelle Vorschub geleistet.

    Wie immer der Dumme ist das Opfer Patient. Hätten wir diesbezüglich amerikanische Rechtsverhältnisse, wäre ich längst Multimillionär, denn insgesamt drei Mal wurde definitiv an mir aufs gröbste gefuscht, jedoch der Zeitaufwand, die Kosten, der psychische Druck und letztlich was dabei heraus kommt schreckt einfach nur ab, so, dass viele wie auch ich mit Blick auf Aufwand und Nutzen in diesem verkommenen System den Weg nicht gehen.

  • D
    DonWolli

    Lieber DocMorris (siehe oben), ein Arzt ist (nur) ein Dienstleister. Wenn einem Dienstleister Fehler passieren, ist das Dienstleistungsunternehmen haftbar, dabei interessiert es nicht wie lange der Mitarbeiter gearbeitet hat, der Schaden muss reguliert werden. Bei Dienstleistungen am Menschen kommt natürlich noch hinzu dass es sich ggf. um Körperverletzung handelt. Würden die Arbeitgeber der Ärzte bei Fehlern genauso zur Verantwortung gezogen wie der Besitzer einer KFZ Werkstatt, dann gäbe es wohl keine Arbeitssituation wie es jetzt in Krankenhäusern üblich ist, weil es billiger ist, genügend Ärzte vorzuhalten als dieses Problem auf das schwächste Glied der Kette abzuwälzen den Patienten, der zudem noch von einer Gutachtermafia daran gehindert wird, zu seinem Recht zu kommen (Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus). Natürlich gibt es auch andere Gutachter, aber dann muss mencsh sein Recht ja auch noch vor Gericht bekommen ...

  • Z
    Zazaz

    Wo Menschen arbeiten werden Fehler gemacht, das sollte jedem klar sein. Nicht jeder Arzt ist auch ein guter Arzt, und Fehler im medizinischen Bereich haben oft dramatischere Folgen als in anderen Bereichen.

     

    Aber: es gibt heute bei vielen Patienten auch eine überzogene Erwartungshaltung, viele medizinische Eingriffe sind mit Risiken verbunden, ganz besonders Operationen, d.h. auch wenn der Arzt alles richtig macht kann es zu Komplikationen kommem, auch zu schweren! Diese Einsicht zu vermitteln fällt heute oft schwer....

  • D
    DocMorris

    Ärzte sind auch nur Menschen!

    Wenn die Politik dafür sorgt, daß Ärzte zu lange und überarbeitet Dienste schieben müssen, völlig unterbezahlt sind und keine Gelegenheit für Fortbildung besteht darf sich KEINER über Fehler beschwerden, schliesslich habt Ihr sie ja gewählt!

    Ändert die Politik, nicht die Medizin!

    Beispiel:

    4:00 Uhr morgens: Schlüssel vergessen, Schlüsseldienst kostet 240 EURO und braucht 5 Minuten zum Schloss knacken!!!

     

    4:00 Uhr morgens: Blinddarmdurchbruch, der Chirurg der operiert bekommt 80% seines Stundenlohnes und ist dabei schon über 12 Stunden wach!!!

     

    Also meckert nicht über Ärzte, sondern ändert die Politik, ohne Ärzte wärt ihr alle nicht hier und schon lange nicht so gesund wie ihr heute seid!

  • IW
    I will believe

    Wie wäre es mal mit einer kleinen Linksammlung, um das Thema noch etwas beweisbarer zu machen.

     

    Im Interesse der Patienten.

  • F
    Fakey

    Wenn ich mir anschaue wie ein Medizinstudium strukturiert ist, dann wundert mich das wirklich nicht. Ich kenne einige Leute die Medizin studieren und wenn wir mal ehrlich sind, braucht man keine Ahnung zu haben was man da macht, in den meisten Fällen reicht auswendig lernen. Das mag in anderen Studienfächern ähnlich sein und auch als Ingenieursstudent hat man von der praktischen Anwendung erst mal keine Ahnung, doch ist da ein Unterschied vorhanden ob man eine Maschine kaputt macht oder ein Mensch der Leidtragende dieser Unfähigkeit ist.

  • I
    ichbins

    Und die Bevölkerung hat Angst vor den bösen Taliban...

  • B
    BÄÄÄÄÄRRK!!!

    Je mehr Medizin zum reinen Geschäft verkommt, je mehr Fehler und Nachlässigkeiten wird es zukünftig geben.

    Aus eigener Erfahrung weiß ich das Operationen bewusst nur oberflächlich durchgeführt werden um des lieben Geldes wegen noch eine zweite OP dranhängen zu können.

    Es ist ethisch und moralisch verwerflich, dass die meisten Ärzte nur noch auf Gewinnmaximierung achten und der Patient lediglich als Mittel zum Zweck dient. Diese Kommission ist so überflüssig wie ein Kropf, da dieselbe lediglich als Vertuschungsinstrument fungiert und nur Fälle wo ein unter den Teppich fegen wirklich nicht mehr möglich ist, müssen dann dafür herhalten die angebliche Objektivität dieser Einrichtung zu suggerieren. Wären Ärzte und Politiker nicht schon seit Jahrzehnten durch die Pharmaindustrie und die medizinischen Apparate Hersteller korrumpiert, könnte man ja noch Hoffnung auf Besserung haben. Selbst ein Erzkonservativer wie BLÜM, Norbert, sagte in einem aufrichtigen Moment im Rahmen eines Intervievs, der Kampf gegen die Pharmamaffia sei seitens der Politik längst verloren. Die Beibehaltung der KVA sowie die Installation des Gesundheitsfonds beweisen das die Politik nur noch als Handlager der Milliardäre aus der Pharmabranche fungiert.