Ärger im Berliner Stellenpool: Hilferuf vom Krisendienst
Den Jugendämtern fehlt geeignetes Personal, um Missbrauch und Verwahrlosung von Kindern zu verhindern. In Brandbriefen fordern Ämter und Stadträte fähige Mitarbeiter für die offenen Stellen.
Berlins Jugendämter schlagen Alarm: Zu viele offene Stellen können nicht besetzt werden, heißt es in zwei Brandbriefen. Das erste Schreiben stammt von den Jugendstadträten aller zwölf Bezirke, darin heißt es: "Der zentrale Stellenpool ist nicht in der Lage und wird auch weiterhin nicht in der Lage sein, geeignetes Personal zu rekrutieren." Man sehe die Personalentwicklung "mit großer Sorge". Der zweite Brief stammt von den Leitern der zwölf Jugendämter. Sie gehen ins Detail: Den Mitarbeitern aus dem Stellenpool "fehlt die erforderliche Motivation". Sie seien "in den meisten Fällen nicht bereit und in der Lage, auch bei erfolgter Einarbeitung (...) die Tätigkeit im bezirklichen Kinderschutz/Krisendienst auszuführen." Dies gefährde den Schutz und die Sicherheit von Kindern.
Im Dezember hatte das Abgeordnetenhaus das "Netzwerk Kinderschutz" beschlossen: In den Bezirken sollen 24 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden, die unter anderem mit Gesundheitsämtern, Jugendgerichten, Kindergärten, Hebammen und Schulen zusammenarbeiten sollen, um frühzeitig zu erkennen, wenn Kinder verwahrlosen oder sogar misshandelt werden. Die Mitarbeiter sollten überwiegend aus dem Stellenpool des Landes kommen - dort warten Angestellte, die anderswo nicht mehr gebraucht werden, auf eine neue Aufgabe.
Für die Krisenarbeit im Jugendamt brauche es aber erfahrene und ausgebildete Fachkräfte wie etwa Sozialarbeiter, sagt die Leiterin des Jugendamtes Pankow, Judith Pfennig, der taz. "Zum Teil kommen da Mitarbeiter, die sich hier vorstellen sollen und überhaupt nicht wissen, um was es eigentlich geht." Die Mitarbeiter würden im Stellenpool völlig unzureichend vorbereitet.
Auch die Jugendstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, kennt die Probleme mit dem Stellenpool. Es gebe dort auch so gut wie keine Mitarbeiter, die mehrere Sprachen sprechen würden. "Gerade in unserem Bezirk brauchen wir aber auch Mitarbeiter, die auf Türkisch oder Arabisch mit den Familien reden können", sagt die Grünen-Politikerin.
Und es geht nicht nur um die 24 Mitarbeiter für das "Netzwerk Jugendschutz": In ganz Berlin seien 40 Stellen für Sozialarbeiter derzeit unbesetzt, schreiben die Jugendstadträte. Und bis Ende 2009 würden gut 70 Mitarbeiter in Rente gehen. Auf dem freien Stellenmarkt gebe es genug Arbeitslose mit den geforderten Qualifikationen - die Bezirke fordern, dass sie die freien Stellen über solche "Außeneinstellungen" besetzen können. "Die Berliner Jugendämter brauchen sofort einen Einstellungskorridor von mindestens 50 Stellen pro Jahr", heißt es in dem Brief der Jugendstadträte. Die Stadträte bemängeln auch, dass die Mitarbeiter im Stellenpool recht alt seien.
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) will dagegen nach Auskunft seiner Sprecherin Kristina Tschenett an dem bisherigen Verfahren festhalten. Und das sieht wie folgt aus: Erst wird geprüft, ob im Stellenpool geeignete Mitarbeiter sind. Und nur mit der Erlaubnis der Senatsverwaltung für Finanzen dürfen die Bezirke dann andere Mitarbeiter von außen einstellen.
Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), der auch für Familien zuständig ist, verspricht dagegen als Reaktion auf die Briefe: "Sollte der Stellenpool den Bedarf nicht abdecken können, wird es Außeneinstellungen geben." Aber wer entscheidet, ob die Mitarbeiter im Stellenpool den Bedarf der Bezirke abdecken können - der Finanzsenator oder die Bezirke? Dieser Konflikt ist derzeit noch völlig offen. Die Jugendstadträte jedenfalls finden, der Verweis auf den Stellenpool sei "schlicht absurd und gefährdet den Schutz und die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!