: Ängstliche Perspektive
Der hohle und fremd gewordene Pomp – Das Bonner Kunstmuseum stellt Thomas Struths Fotografien „Straßen“ – Paris, Tokio, Rom – aus ■ Von Reinhard Matz
Die Straße verbindet: Als Mikrokosmos der Stadt, als Verdichtung von Unterschieden und Ungleichzeitigkeiten, als Metapher des modernen Lebens und Seismograph für Entwicklungen faszinierte sie Fotografen von Beginn an. Die Straße war neben dem Stilleben (und vor dem Portrait) das erste Sujet der Fotografie und begleitet sie praktisch durch ihre gesamte Geschichte. Im Zuge der Industrialisierung wurden die Straßen heterogen, brüchig, vielschichtig. Und der Fotografie – mit ihrem Hang zum Zufälligen und Vorübergehenden – gelangen spontan angemessenere Bilder, als es die vergleichsweise heilen Ansichten der gemalten oder gestochenen Veduten in der Tradition des 18. Jahrhunderts vermochten.
Thomas Struth stellt sich schon deshalb in diese Entwicklung, weil er wie kein anderer der in den letzten Jahren international bekannt gewordenen Becher-Schüler die Genres der Fotografie durchdekliniert. Während Thomas Ruff entlegene fotografische Techniken wie Astrofotografie, Restlichtverstärkung und jüngst das Phantombild in den Kunstkontext überführt, bearbeitet Struth Landschaft, Portrait, Architektur und eben die Straße.
Obgleich es sich um eine große, repräsentative Museumsausstellung handelt, hat man sich klugerweise auf Struths zentralen Arbeitskomplex konzentriert. Sonst wäre die Schau unterderhand zu einer Retrospektive geraten, für einen 41jährigen hoffentlich zu voreilig. Noch unter der Ägide seiner Lehrer beginnt Struth sein Thema Ende der 70er Jahre mit streng mittelachsialen Straßenaufnahmen, deren Spannung darin liegt, daß architektonische Gegebenheiten die Symmetrie des Bildes stören. Struth hat diese Herangehensweise nachträglich als eine quasi wissenschaftliche Erfassung des Gegenstandes gekennzeichnet. Es ist aber auch eine ängstliche Perspektive: In der Mitte und entlang der Mitte kann ich nichts falsch machen – eine zu einfache, weil von außen kommende Harmonisierung.
Um 1980 fotografiert Struth die Wohntürme des Pariser Quartiers Beau Grenelle und verläßt dabei die Mittelachse – wohl, weil sich die Türme nicht achssymmetrisch ausrichten lassen. Dieses aufnahmetechnische Problem scheint auch das Genre zu verändern: Die Straße ist einfach weg. Keine Fluchten, keine Verbindungen, keine Vielschichtigkeit, keine Kommunikation. Solitär ragen die Wohntürme aus der Fußgängerebene, deren Funktion sich darauf beschränkt, uns so schnell wie möglich zur Tiefgarage eilen zu lassen.
Unter dem Eindruck von Beau Grenelle weitet sich der fotografische Ansatz, Straßen enzyklopädisch zu erfassen, in Richtung Architektur und Stadtansicht aus. Das zwangsläufige Scheitern des Genres Straßenfotografie führt Struth zur Umformulierung und Präzisierung seines Themas: Es sind die städtebaulichen Zumutungen am Ende des 20. Jahrhunderts, die Struth nunmehr weltweit aufspürt. Die Kommunikationslosigkeit dieser Orte kann er paradoxerweise nun auch mit wachsender gestalterischer Freiheit auf Plätzen der Zusammenkunft bis hin zu Märkten finden.
Dabei richtet sich das Interesse des Fotografen weder auf architektonische Highlights noch auf offensichtliches Elend. Es ist eher das Normale, das zu Erwartende einer Stadt, das in Struths Bildern trotzdem noch in befremdliche Distanz rückt. Ob die zu hohlem, uns fremd gewordenem Pomp geronnenen traditionellen Bauten in Rom oder Edinburgh, die notdürftigen Reihenhäuser in Duisburg und Leverkusen, der heruntergekommene Historismus in der ehemaligen DDR, die auf das Ökonomische reduzierte Moderne in Paris oder Tokio, die bedrückende Enge in Neapel und Wuhan; ob ohne oder seit Mitte der 80er Jahre mit Menschen, ob in Schwarzweiß oder in den letzten Jahren vermehrt auch in Farbe – überall und immer wieder gelingt es Struth, die scheinbar selbstverständlichen Lebensumstände als fremd und erstaunlich zu zeigen. Diese fraglos von Menschen für Menschen erdachten Orte scheinen etwas merkwürdig Zurückgezogenes, Verschlossenes vorzutragen, etwas, das dem tradierten Bild der Straße als Ort lebendiger Zusammenkünfte hohnspricht.
Dabei lockt uns der Fotograf immer wieder ins Bild. Wir scheinen es über eine Leerfläche im Vordergrund zu betreten. Ein Gegenstand in der Nähe fesselt unseren Blick, oder wir identifizieren uns mit einer Person. Dann aber verliert sich der Blick in der Tiefe vor dem verstellten Horizont. Struths Fotografien bieten keinen Ausweg. Sie binden uns an das Gegebene einer ubiquitären Gegenwart, mit deren Anblick wir uns wohl abfinden sollten. Er wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Anders als der gut gedruckte Katalog zeigt die Ausstellung die in den letzten 20 Jahren fotografierten Ansichten aus 35 Städten gewissermaßen synchron und verstärkt damit noch den Eindruck der Festgefahrenheit. Es ist ja nicht Aufgabe der Bilder, auf Ausgänge zu verweisen.
Mag sein, daß Struths Arbeit auf die Unterschiede von Lebensformen verweist, wie es der einleitende Katalogtext resümiert. Das kann aber allenfalls ein Nebeneffekt der Bilder sein. Wenn sie sich darin erschöpften, gehörte die Ausstellung ins ethnologische Museum. Kunst wird Struths Projekt durch die Überformung der jeweiligen Besonderheiten, ihre Vereinheitlichung in Richtung universeller Tristesse.
„Straßen“. Bis 24. 9. im Bonner Kunstmuseum. Katalog, Wienand Verlag, Köln, 152 S., 12 Farb- und Duplexabbildungen, 50 DM, als Buchhandelsausgabe im Hardcover 78 DM.
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