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Ältere SPD-Genossen mucken auf

■ Tagung der Arbeitsgemeinschaft 60 plus / „Ältere fallen runter“

„Die meisten politischen Entscheidungen werden für ältere Menschen getroffen. Selten werden sie zusammen mit Älteren gefällt, und die allerwenigsten Entscheidungen werden durch ältere Menschen getroffen“, schimpft Gerhard Bolwin, Landesvorsitzende der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft 60 plus. Knapp die Hälfte der rund 5.700 Bremer Genossen sind über 60 Jahre alt und damit automatisch Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft. Doch zu sagen haben die alten Genossen wenig, gehört werden sie kaum. Das ist jedenfalls die Einschätzung von Gerhard Bolwin (73), der die Arbeitsgemeinschaft 1993 in Bremen mit gegründet hat. Auf einer Tagung mit dem Titel „Wir sind der Trend“ hat er gestern gemeinsam mit anderen – auch jüngeren Genossen überlegt – wie sich ältere Menschen besser in der Politik durchsetzen können. Die pfiffigere Gestaltung von Wandzeitungen und Flugblättern stand dabei ebenso auf dem Programm, wie die Vorstellung der eigenen Person, wenn es darum geht zu kandidieren.

Genau da liegt Bolwins Einschätzung nach nämlich der Hase im Pfeffer: Von den 72 SPD-Kandidaten für die Bürgerschaftswahl im Mai 1995 wären nur drei über 60 Jahre alt gewesen. Auch Bolwin hätte gern als Abgeordneter in der Bürgerschaft Platz genommen. Beim Gang durch die Parteigremien rutschte er mit seinem Listenplatz allerdings immer weiter nach hinten. Kein Zufall, glaubt Bolwin. Ältere Kandidaten hätten – genau wie jüngere – immer weniger Chancen als das sogenannte Mittelalter.

„Wir älteren sind langjährigen Amtsinhabern unheimlich, weil wir ihnen Konkurrenz machen“, vermutet Bolwin. Dabei seien ältere Menschen in der Politik unverzichtbar, um Entscheidungen zu fällen. Schließlich würde die Zahl der über 60jährigen bis zum Jahr 2.000 bundesweit auf ein Drittel der Gesamtbevölkerung anwachsen. Ältere Menschen in der SPD trotzdem aufs Altenteil zu schieben, sei nichts als „zähe Ignoranz“. Am Ende der Tagung will der ehemalige Oberstudiendirektor, der seit 39 Jahren SPD-Mitglied ist, deshalb gemeinsam mit seinen Genossen einen Maßnahmekatalog für die Parteispitze entwerfen. Die SPD soll sich, wenn es um die Belange älterer Menschen geht, mehr Sachverstand von außen holen und Gutachter bemühen, lautet eine Empfehlung an die SPD-Führung. Die Forderung nach einer Quotenregelung, die einem bestimmten Prozentsatz der über 60jährigen einen Sitz in den Parteigremien garantieren würde, wollen Bolwin und seine Mitstreiter allerdings noch nicht formulieren. Wenn zehn Prozent der Bürgerschaftsabgeordneten 60 und älter wären, wäre Bolwin zufrieden. kes

Zukunftsmusik, das weiß er. Aber: „Wir wollen unsere eigene Partei erst mal auf Trab bringen.“ kes

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