Ägypten soll sich um Gaza kümmern: Israel zieht sich aus der Affäre
Nach der Öffnung der Ägypten-Grenze will sich Israel der Verantwortung für Gaza entledigen. Jerusalem sorgt sich um den Waffenschmuggel an der Grenze.
JERUSALEM taz Während sich hundertausende glückliche Palästinenser aus Gaza in dem ägyptischen Ort Al-Arisch mit Vorräten an Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten eindecken, fragen sich Politiker in Jerusalem und Kairo, wer für die Anarchie an der Grenze verantwortlich ist. "Ich glaube, die Ägypter wissen, welche Aufgabe sie übernehmen müssen", schimpfte Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. "Wir erwarten, dass sie ihre Aufgabe den Abmachungen entsprechend erledigen."
Ägyptens Präsident Husni Mubarak konterte: "Wir mussten den hundertausenden Hungernden im Gazastreifen ermöglichen, sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen." Mit Handwagen, auf Eseln oder auf den eigenen Schultern transportierten die Leute Koffer voller Zigaretten, Schokolade und in Plastikflaschen abgefülltes Benzin. Die meisten Palästinenser, die am Mittwoch über die Grenze gegangen waren, kamen nach einigen Stunden wieder nach Hause.
Hinter vorgehaltener Hand zeigten sich einige Politiker in Jerusalem gar nicht so unglücklich über die Entwicklungen. Der internationale Druck auf Israel angesichts des Embargos und der notleidenden Menschen ist erst einmal vorbei. Außerdem besteht erstmals die Chance, dass sich Ägypten künftig um den Gazastreifen kümmern muss.
"Wenn Gaza auf der anderen Seite offen ist, tragen wir keine Verantwortung mehr", kommentierte der israelische Vizeverteidigungsminister Natan Wilnai. Der Abkopplungsprozess Israels vom Gazastreifen müsse fortgesetzt werden, indem "wir nicht mehr länger Strom, Wasser und Medikamente liefern". Das sei nötig gewesen, solange es keine Alternativen gab. Was Israel indes besorgt, ist der Waffenhandel. Der israelische Wohnungs- und Bauminister Seew Boim (Kadima) rief gestern (Donnerstag) zu einer militärischen Neubesetzung der sogenannten Philadelphia-Route, dem Grenzstreifen zwischen Ägypten und Gaza, auf. Wenn die Ägypter den Waffenschmuggel nicht aufhalten könnten, müsse man es eben selbst tun, wobei er eine Zusammenarbeit mit Kairo nicht ausschließt. Jahrelang hat die Regierung in Kairo dem Waffenschmuggel an der Philadelphia-Route tatenlos zugesehen.
Ägyptische Sicherheitsleute haben die meisten der in die Grenzmauer gesprengten Löcher geflickt. Nur zwei blieben offen, um den Übergang für die Menschen weiter zu ermöglichen. "Israel, Ägypten und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) sind nun gezwungen eine neues gemeinsames Arrangement für die Grenzkontrolle zu finden", schreibt der politische Berichterstatter Avi Issacharoff in der liberalen Zeitung Haaretz. Salam Fayyad, palästinensischer Premier, hatte jüngst die Idee aufgebracht, den Grenzverkehr künftig von PA-Sicherheitsleuten regeln zu lassen. Fayyad bezweifelt, dass das ohne Kooperation mit der Hamas möglich sein wird. In Europa und im Weißen Haus ist man für Fayyads Vorschlag aufgeschlossen.
Offenbar war der Grenzdurchbruch von der Hamas seit Wochen geplant. Palästinensische Journalisten berichteten von "inszenierten" Sitzungen im Parlamentshaus in Gaza, in deren Verlauf die Hamas-Politiker am hellichten Tag mit zugezogenen Vorhängen bei Kerzenlicht tagten. Am Dienstag kam es zu gewaltsamen Demonstrationen im Grenzbereich und zu Zusammenstößen mit ägyptischen Polizisten. Die Sprengungen der Mauer erfolgten schließlich zeitgleich an zwanzig Punkten und mussten vorbereitet gewesen sein.
Die israelische Regierungsentscheidung, das Embargo zu verschärfen und mehrere Tage die Öllieferungeneinzustellen, spielte den Extremisten in die Hände. Dennoch soll die Blockade fortgesetzt werden. "Das nächste Mal", kündigte Ahmad Yussuf, politischer Berater von Expremier Ismail Hanijeh (Hamas), an, "werden 500.000 Palästinenser über den israelischen Grenzkontrollpunkt Erez gehen."
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