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Advent in BerlinEine Tanne geht auf Reisen

In Drøbak wird seit 21 Jahren die Weihnachtstanne für den Pariser Platz geschlagen. Die norwegische Kleinstadt betrachtet die "Aktion Tanne" als gute Werbung

So soll es aussehen, wenn ab Sonntag am norwegischen Weihnachtsbaum auf dem Pariser Platz die Lichter brennen. Bild: AP

Thore Vestby, Bürgermeister der norwegischen Kleinstadt Drøbak, hat an diesem grauen Novembermorgen einen Pflichttermin der besonderen Art. In einer kleinen Siedlung einige Kilometer entfernt von seinem Heimatort wohnt er der Abholzung einer Tanne bei. Der Baum ist ein Geschenk Drøbaks für die Stadt Berlin, wo er am kommenden Sonntag auf dem Pariser Platz illuminiert wird.

Zehn Arbeiter sind angerückt, um das Objekt der Begierde zur Strecke zu bringen. Mit einem Kran wird das Gewächs, nachdem sich eine Säge durch den Stamm gearbeitet hat, senkrecht in die Höhe gehievt, dann in eine Horizontallage gebracht und vorsichtig auf einen Sattelschlepper verladen. Der bringt den Baum nach Oslo. Von dort geht die Reise weiter, per Fähre nach Kiel. Die letzte Etappe legt der ungewöhnliche Passagier, der 22 Meter misst und rund 2.500 Kilo wiegt, abermals mit einem Sattelschlepper zurück.

"Es war diesmal schwierig, eine geeignete Tanne zu finden", sagt Vestby. Zwei Wochen lang dauerte die Suche, an der sich auch lokale Medien beteiligten. Offensichtlich hat sich die Mühe gelohnt. Das Ergebnis könne sich sehen lassen, findet der Ortsvorsteher.

Bereits zum 21. Mal schicken die Norweger einen Weihnachtsbaum nach Berlin. 1990, ein Jahr nach dem Fall der Mauer, wollte Drøbak diese Geste als eine Art Friedensbotschaft verstanden wissen. Bei den Bewohnern der Kleinstadt wurde Geld gesammelt, und das norwegische Außenministerium unterstützte die ungewöhnliche Aktion mit umgerechnet 3.000 Euro.

Heute finanziert die Stadt die "Aktion Tanne für Berlin" allein. Die Friedensbewegtheit ist praktischeren Erwägungen gewichen. Wie viel der Spaß kostet, will der Bürgermeister nicht verraten. "Aber", sagt Vesby, "unsere Kosten sind zehnmal niedriger als das, was wir dafür zurückbekommen." Schließlich sei das Baumgeschenk die beste Werbung für Drøbak und die Region und wirke sich auch positiv auf den Tourismus aus.

Dass ausgerechnet Drøbak den Christbaumlieferanten gibt, ist kein Zufall. In der Stadt, wo es mit dem Jule Hus eine fast ganzjährig geöffnete Verkaufsstelle für Weihnachtsartikel sowie auch ein Weihnachtspostamt gibt, ist das Fest das ganze Jahr über präsent. "Wir haben manchmal recht bizarre Anfragen", sagt Eva Johhansen, Inhaberin und Betreiberin des Jule Hus. So habe sich vor einigen Jahren eine belgische Gemeinde an Drøbak gewandt. Die Bitte: ein 30 Meter hoher Tannenbaum mit Wurzeln, um das Exemplar einpflanzen zu können. Aus Frankreich kam die Anfrage nach über einem Dutzend drei Meter hohen wetterfesten Weihnachtsmännern, die auf den Raststätten der Autobahn Paris-Lille aufgestellt werden sollten. Beide Ansinnen wurden abschlägig beschieden.

Demgegenüber scheint für den Berliner Baum kein Aufwand zu groß. Für die Dekoration der Tanne wurden mit Silje Softing und Eva Marit Toftun zwei Nachwuchsdesignerinnen angeheuert. Einen Monat lang arbeiteten die beiden im Sommer an ihrem Konzept unter dem Motto "Weihnachts-Abendessen". Bestückt wird die Tanne mit insgesamt 600 sternförmigen mehr oder weniger transparenten Elementen aus Acrylplastik mit zwölf unterschiedlichen Motiven. Neben den notorischen Schnapsgläsern finden sich darunter auch Gabeln, Schneebesen, Bierflaschen, Würste, Nudelhölzer und Käsehobel. Letzteren behaupten die Norweger erfunden zu haben. "Acrylplastik reflektiert das Licht besonders gut", sagt Silje Softing. Genauso wichtig aber sei, dass die Elemente wiederverwendet werden könnten. Die 27-Jährige wurde für ihre Arbeiten bereits mehrfach ausgezeichnet und kreiert normalerweise Sitzmöbel. Dem ersten Experiment in Sachen Baumdekoration könnten weitere folgen. "Eine norwegische Firma hat bereits Interesse bekundet", sagt Silje Softinge.

Vor wenigen Tagen wurde der Tannenbaum auf dem Pariser Platz aufgestellt. Der Transport hat in Form abgebrochener Zweige deutliche Spuren hinterlassen Die norwegische Botschaft teilte auf Nachfrage mit, es habe bei dem Verladen auf die Fähre Probleme gegeben.

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