piwik no script img

Adoleszenz und EgoshooterVerballer Deine Jugend!

Kommentar von Christian Füller

Jugendliche werden nicht zwingend gewalttätig beim Egoshooten - aber verspielen Chancen: Arte widmet jugendlichen Extremzockern einen Themenabend (Dienstag ab 21 Uhr).

Counter-Strike-Spielen - macht Kinder nicht zu potentiellen Mördern, sondern süchtig. Bild: ap

Der Typ ist vollkommen klar im Kopf. Ruhig und überlegt schildert der Mittzwanziger seine Sucht. Zwei Jahre lang habe er wie auf Droge gespielt. 16 Stunden am Tag saß er vor dem Bildschirm, im Wettkampf mit anderen Gamern im Web. "Den Rest des Tages habe ich meist geschlafen", sagt er. Nur um Pizza und Cola zu holen, verließ er seine Wohnung. Er hatte am Schluss keine Freunde mehr und Geld sowieso nicht. "Wenn ich ein Geräusch im Treppenhaus gehört habe, ist es mir kalt den Rücken runtergelaufen", berichtet er, als wäre er sein eigener Therapeut.

Der junge Mann hatte beim Egoshooten vor keinem waffenstarrenden Gegner mehr Angst - aber im richtigen Leben raubte ihm schon der Gedanke an spießige Gerichtsvollzieher den Nerv. Wir sehen diese reale Figur in dem Dok-Film "Spielzone" von Heide Breitel, den Arte in den Themenabend "Verspielte Kindheit" einbettet, zu dem auch Lilly Grotes Film "Stark fürs Leben" gehört, der Wege zur Resozialisierung spielsüchtiger Kinder zu zeigen versucht. Anlass, sich mal gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen bis in die Nacht vor die Glotze zu setzen.

Grote und Breitel machen kein Zeigefingerfernsehen. Dennoch dürfte die Nervosität in deutschen Elternhäusern danach weiter wachsen. Denn die beiden Filmerinnen zeigen nicht nur in minutenlangen Einstellungen die Begeisterung und Banalität der Kids vor dem Monitor. Sie lassen Therapeuten, Mediziner und Sozialarbeiter Indizien für etwas vorbringen, was im Diskurs über Computerspiele so gerne geleugnet wird: dass Gamen süchtig macht. In der Suchtberaterszene heißt der schöne neue Begriff dafür "nichtstoffgebundene Süchte".

Interessanterweise decken sich die Szenen aus "Spielzone" und "Stark fürs Leben" mit dem Ergebnis des wissenschaftlichen Standardwerks über die Gamer-Community, "Grand Theft Childhood", von Lawrence Kutner and Cheryl K. Olson. Die Harvard-Medical-School-Forscher zeigen, wie irrsinnig dumm die Vorstellung ist, dass alle Teenie-Gamer mit dem Stick zu Killern trainiert werden. Die Folgen sind, kurz gesagt, differenzierter und subtiler. Von den Kids geht nicht etwa eine Mordsgefahr aus - sie werden ganz einfach süchtig. Sie begehen einen großen Diebstahl an ihrer Jugend - ironischerweise heißt der (in der taz bejubelte) Megaseller ja auch "Grand Theft Auto IV". Und die Kinder reagieren völlig unterschiedlich auf die Ballerei im Netz. Beides lässt sich bei Grote und Breitel schön beobachten, wenn etwa ein Mädchen von der besessenen Spielerin zu einer reflektierten Künstlerin und Kritikerin des Mediums wird.

"Guck mal, wie dick mein Daumen ist." So führt ein Gamer dem Hirnforscher Gerald Hüther seinen erstarkten Fingermuskel vor. Er erschrickt ein bisschen, als der ihm zeigt, dass ähnliche Verbeulungen bei notorischen Spielern im Hirn zu beobachten sind. Das Spielen trainiert eben bestimmte Hirnregionen - und lässt andere verkümmern oder, noch schlimmer, sich gar nicht erst entwickeln.

Die Stärke des Themenabends ist, dass alle zu Wort kommen, die zur verballerten Kindheit etwas zu sagen haben - inklusive der Opfer. Und es ist zugleich seine Schwäche. Denn durch die Verspieltheit der Filme und ihre Neigung, sich ablenken zu lassen, wird wiederum ihre harte Bilanz verwässert: Welche intelligenten Sicherungen gibt es gegen den großen Diebstahl vor dem Monitor eigentlich?

Der süchtige Gamer hat seine Methode übrigens gefunden. Er ließ sich erst von der Telekom den Anschluss sperren. Dann spielte er drei Wochen trocken weiter, also offline auf der CD: "mein Methadonprogramm". Anschließend fuhr er zu seinen Eltern und sagte: Helft mir, ich bin süchtig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • A
    Anne

    Hei Ulli, na sowas aber, wie gehts uns denn heute?

     

    Wenn Du in den Spiegel geschaut hast, hast Du hoffentlich nicht völlig irrational geschlussfolgert, dass aus der Korrelation der von der Glasfläche ausgehenden Lichtmuster eine kausale Relation zu Deinem Gesicht besteht.

     

    Nein, auch die Beobachtung sogenannter Photonen hilft da nix. Mit denen ist es im Prinzip auch nicht anders als mit den Billardkugeln bei D. Hume. Nein, auch Kant hilft nix, denn er hat zwar recht: Grundsätzlich können wir gar nicht anders, als Kausalitäten anzunehmen, sobald wir von Erfahrung etc. sprechen, aber konkrete Nachweise von Kausalitäten sind etwas anderes. Also nicht von Spiegelbildern völlig irrational auf Gesichter schließen! Das Quine-Duhem Paradox lass ich 'mal weg.

     

    Als exzellente Einführung in das Thema empfehle ich: Gunnar Skirbekk, Nils Gilje: Filosofihistorie. ... Band 1, Bergen/No, 4.Auflage 1987, Kapitel 15 + dazugehörigen Quellentext von D. Hume, ebd.

  • BW
    Bark Wind

    @ Ulli: Du hast anscheinend nicht mal zur Hälfte mitbekommen, was die von Dir kritisierte Anne (ganz unten, erster Kommentar) überhaupt geschrieben hat.

     

    @ M. K. Deine Kritik an Anne ist zwar schon näher an der Aussage, zielt zwar immer noch am Behaupteten vorbei. Lies doch erst noch mal genauer nach, was Anne über die Studien behauptet und was nicht.

  • U
    Ulli

    Ach Anne, wann lernen auch Menschen wie Du, dass die einzige glaubhafte Statistik die eigene ist, die man natürlich auch noch gefälscht hat, um sie für sich selber im besseren Licht erscheinen zu lassen.

     

    Ich werfe immer wieder gerne das - zwar infantile, wennauch statistisch korrekte - Brotargument in die Runde:

     

    Über 90% aller Mörder essen Brot oder waren längerfristig mit Brot in Kontakt.

     

    Aber kurioserweise will sich niemand mit dieser Art von "Statistik" ernsthaft auseinander setzen, weil sie "sinnlos" erscheint... aus erster Linie deshalb, weil die meisten Mitdiskutierenden selber in Kontakt mit Brot kamen und bloss nicht in die Ecke "potenzieller Mörder da Brotesser" geschoben werden will. Auch ein Slogan a la "Brote zu Pflugscharen" ist nicht wirklich merketingtauglich.

     

    Von daher:

     

    Machen Spiele süchtig? Wahrscheinlich nur bei denen, die eh suchtanfällig sind.

     

    Machen Spiele aggressiv? Wahrscheinlich nur bei denen, die eh ein erhöhtes Gewaltpotenzial haben.

  • MK
    M. K.

    Na Bravo, da war die taz mit ihrem GTA-Bericht doch mal auf dem Weg aus der ewigen "böse Games" Sackgasse und schon sind wir wieder mittendrin in dieser blödsinnigen und von lauter Moralisten und Nichtspielern diktierten Diskussion. Dass Spiele süchtige machen - granted. Nichts neues, genauso machen Pommes, Kaffee, TV und sogar (schreck!) Bücher süchtig (über die verherrende moralkorrumpierende Wirkung von Romanen sollte man sich eine viktorianische Zeitung zulegen - genauso so alt ist das Argument mindestens). Alles, was eben Eskapismus bietet kann nicht nur zum kurzfristigen, sondern auch langfristigen Fliehen führen. Hier sind die Eltern gefragt, den Medienkonsum ihrer Sprösslinge zu diktieren und zu dosieren - der Spieleindustrie die Schuld in die Schuhe zu schieben ist naiv, dann könnte man auch gleich dem Winzer den Alkoholmißbrauch vorwerfen. Schade taz, ich dachte hier hätte sich was getan.

     

    @Anne:

    Nur weil sich bestimmte Hirnregionen regen beweist das garnichts. Die Hirnforschung ist von solchen Ergebnissen selbst nicht sonderlich überzeugt und rudert schon seit längerem zurück.

  • K
    Kuno

    Dass diese Art exzessiver Freizeitbeschaeftigung irgendeine positive Entwicklung foerdert (ausser den Umsaetzen/Arbeitsplaetzen bei der entsprechenden industrie bzw Handel), scheint kein ernstzunehmender Mensch zu behaupten. Die Kontroverse dreht sich immer um das Ausmass der Gefaehrlichkeit. Ganz offensichtlich und mit gesundem Menschenverstand erfassbar ist die Tatsache, dass Killer-Spiele im guenstigsten Fall keine Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes hat. Daher sind diese Spiele in keinem Fall "paedagogisch wertvoll", in jedem Fall aber voellig verzichtbar.

  • A
    Anne

    "Jugendliche werden nicht zwingend gewalttätig beim Egoshooten". ... immer diese Widerlegungen von Thesen, die in dieser platten Form sowieso niemand (außer Dummköpfen) behauptet - auch nicht die meisten mir bekannten KritikerInnen solcher Spiele oder gewaltexzessiver Filme.

     

    Auch das am Straßenrand eingeatmete Kohlenmonoxyd oder Stickoxyd aus dem Kfz Verkehr führt bei kaum jemandem gleich direkt zum Erstickungstod.

     

    Bloß statistisch an die Sache ran zu gehen, ist teilweise so ähnlich, als würde jmd. sagen: Bisher konnte statistisch nicht belegt werden, dass Atomreaktoren oder große Staudämme in von Erdbeben gefährderten Gebieten gefährlich sind.

    Stimmt, rein statistisch.

     

    Einfach Betroffene selber oder deren Eltern zu befragen, wie bei einer jüngeren Studie, ist auch aus mehrfachen Gründen nur sehr bedingt aussagekräftig.

     

    Erwähnt werden sollte zumindest eine Studie, die ca vorletztes Jahr in den USA belegt hat, dass realstisch dargestellte, obwohl dem Spieler/Betrachter als fiktiv bewusste Gewalt im Gehirn ziemlich genau dieselben Areale aktiv werden lässt, wie real erlebte Gewalt.

     

    Das macht natürlich noch lange nicht die Mehrheit der "Users" oder "Consumers" kurz- oder mittelfristig zwangsläufig gewalttätiger, aber dass es ohne jede vielleicht kritisch in Frage zu stellende Wirkung sei, wird wohl nur behaupten, wer unbedingt a priori solche Spiele oder analoge Filme etc verteidigen will (Leute mit Dipl.- oder Dr.-Titeln inklusive).

     

    Übrigens haben sogar normale Erwachsene in einer großen seriösen Studie schon vor Jahrzehnten nach einem James Bond Film kurzfristig nachher signifikant messbar größere Zustimmung zu Todesstrafe und dergleichn gezeigt - langfristig hat sich die Wirkung offenbar aber erstmal ins nicht mehr "Messbare" verflüchtigt.