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Adel verpflichtet sich meist zu nichtsJetzt vielleicht ein bisschen edler

Steffen Greiner
Kommentar von Steffen Greiner

Die Entschädigungsklage der Hohenzollern ist endlich vom Tisch. Aber kommt der lange privilegierte Adel jetzt wirklich in der Demokratie an?

So kennt man den deutschen Adel: rüde, selbstbesoffen. Caroline von Monaco nebst Ehemann, 1998 Foto: maxppp

E s wurde aber auch Zeit: Ein Hohenzollern drückte sich nicht länger, sondern zog einen Schlussstrich. Zumindest in der Rückgabedebatte.

Dass der Urahn des Georg Friedrich Prinz von Preußen, Kaiser Wilhelm II., 1918 sich nicht in einer verzweifelten Attacke selbst an der Front opferte, hat den auf Ritterlichkeit bedachten deutschen Adel am Ende des Ersten Weltkriegs in eine tiefe Identitätskrise gestürzt. Der verlorene Krieg führte zum Verlust der sicheren Jobs bei der Armee und einer Welle von Adelsarmut, die Feigheit vor dem Feind zu Selbstzweifeln. Die Mehrheit des deutschen Adels blieb demokratiefeindlich, viele setzten bald auf Hitler. Der doch sicher die Monarchie neu errichten wird? Wären nicht einige Edle kurz vor Zappenduster noch auf die Idee gekommen, eine Bombe zu zünden, wäre das kollektive Versagen des Adels schon in der frühen Bundesrepublik aufgefallen. So war man Stauffenberg und wurschtelte sich durch, wie alle anderen auch.

Ganz so entscheidend dürfte der Rückzug der Entschädigungsklage jetzt nicht sein. Trotzdem: Wie steht es eigentlich um den Adel in der Demokratie? In Deutschland wurde der Adel, anders als in Österreich, mit der republikanischen Verfassung 1919 nicht abgeschafft, lediglich seine Vorrechte aufgehoben. Das hat damals schon arg wenig an Besitzverhältnissen verändert, noch weniger aber an Netzwerken und audacity.

Sicher, auf jeden reichsadeligen Putschprinzen kommen heute Tausende Adlige, die überzeugt und selbstverständlich De­mo­kra­t*in­nen sind, die meisten führen, wenn überhaupt, ein „von“ ohne besondere Standesdünkel, und selbst die bürgerlich-liberale FDP leistet sich mit Hermann Otto Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich einen Ehrenvorsitzenden mit landesherrlichem Hintergrund. Und so erscheint es kein bisschen erstaunlich, dass etwa 2020 der Präsident der Genossenschaft der katholischen Edelleute in Bayern als Beispiel gelungener demokratischer Integration des Adels, ja beinahe seiner Verbürgerlichung, einen Bundestagsabgeordneten und Botschafter der BRD würdigt, Karl von Spreti. Dem ja durchaus zugute zu halten ist, dass er nicht, wie sein gleichaltriger Verwandter Hans Erwin von Spreti-Weilbach, als SA-Führer den Untergang der Weimarer Republik herbeiprügeln ließ.

Es ist leicht auf der Gewinnerseite

Der Lebenslauf einer edlen Heizungsbauerin hätte den Punkt vielleicht besser unterstrichen. Demokratisch lässt sich nämlich besonders gut sein, wenn man sich sicher auf der Gewinnerseite wähnen kann. Wie die vielen adligen Familien, die noch immer auf den Reichenlisten auftauchen – oder scheinbar erblich in Führungspositionen in Unternehmen, Kultur, Medien. Oder wie einst der CSU-Politiker und Ex-Kronprinz Otto von Habsburg, der mit gleich vier Staatsangehörigkeiten eine Partei vertrat, die rassistisch Stimmung gegen die doppelte machte. Man bleibt dann eben doch ein bisschen edler.

Erstaunlich eher, dass so viele mitspielen, auch jenseits der Regenbogenpresse. Natürlich harmlos, wenn im Februar ein „Sportschau“-Kommentator angesichts einer leichtathletelnden Adligen jovial anmerkt, das „Gräfin“ dürfe man durchaus weglassen, als sollte das nicht eine seit hundert Jahren abgefrühstückte demokratische Selbstverständlichkeit sein. Weniger, wenn ausgesuchten Familien à la Hohenzollern Verhandlungen auf Regierungsebene zugestanden werden. Oder Thüringen per Gesetz einen „Vertreter des Hauses Sachen-Weimar und Eisenach“ in einen Stiftungsrat bestellt – und so die adels-esoterische Fiktion dynastischer „Häuser“ zu einer republikanischen Wirklichkeit wird.

Derweil geriert man sich in den adligen Verbänden als eine in der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft von Identitätsverlusten bedrohte Gruppe, die um ihr kollektives Gedächtnis ringt. In der Tat erfolgreich: Der Adel dürfte die einzige soziale Minderheit in Deutschland sein, auf deren Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Immerhin da kann man von ihm lernen.

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Steffen Greiner
Steffen Greiner ist Autor, Dozent und Journalist. Er war Chefredakteur der Zeitschrift zur Gegenwartskultur "Die Epilog" und Co-Autor des erzählenden Brief-Sachbuchs "Liebe, Körper, Wut & Nazis" (Tropen 2020). Im Februar 2022 erschien seine Erkundung zur Geschichte der spirituellen Querfront in Deutschland zwischen Lebensreform, Weimar und Corona "Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern", ebenfalls bei Tropen.
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1 Kommentar

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  • Eigentlich... haben wir das Ganze längst nicht überwunden. Angefangen beim Heiligenstatus des Eigentums (wir erinnern uns: im Grundgesetz sind -- oft nicht realisierte -- kritischere Töne, als unsere Praxis hergibt) über die Erblichkeit von Reichtum und Armut bis hin zu unserem anachronistischen Schulsystem, das darauf angelegt ist, dass der Zugang zu Academia auch erblich bleiben möge: unsere ganze Gesellschaft schwimmt in, trieft von und schwitzt dieses überkommene Weltbild, bessersein käme durch die Gene.