Achtelfinale der Champions League: Mailänder Hilflosigkeit
Vor dem Achtelfinalrückspiel in München beschwört Inter seine vergangene Größe - doch die ist hinweg, gemeinsam mit Mourinho. Nur Eto'o spielt noch auf höchstem Niveau.
MAILAND taz | Housseine Kharja ist optimistisch. "Für München sind wir hoch motiviert und überzeugt, alles gut zu machen", meinte Inters marokkanischer Flügelflitzer. Er ließ sich sogar zu einer Ableitung verleiten: "Die Serie A zeigt, dass man gegen eine große Mannschaft gewinnen und gegen eine kleine verlieren kann." Man darf Kharja getrost unterstellen, dass er mit "man" Inter meinte und damit selbstverständlich eine große Mannschaft. Als unterlegenen großen Gegner favorisiert er die Bayern. Prophet Kharja hat allerdings eines übersehen: Am heutigen Abend (20.45 Uhr, Sky) treffen zwei Teams aufeinander, die in dieser Saison so arg an Größe eingebüßt haben, dass man sich genötigt sieht, zum Antonym zu greifen. Die Option klein gegen klein hat er leider nicht durchgespielt, so dass wir gar nicht wissen, wie dies Spiel denn ausgehen wird.
Dieses Nichtwissen macht natürlich den Reiz des Fußballs aus. Daher gehört er auch schärfer von Manipulationen freigehalten, als es die handzahmen "Task Forces" der Verbände - im Parlament nannte man so ein Hypnotikum noch "Kommission" - vermögen. Vor diesem Achtelfinalrückspiel schnellt das Nichtwissen jedoch in die exzessiven Dimensionen der addierten Kompetenzen von beliebigen DSDS-Kandidaten. Zumindest was den Partner Inter anbelangt, von dem hier die Rede sein soll.
Der Titelverteidiger besitzt keineswegs mehr die Klasse der Vorsaison. Die ist mit dem Abgang Mourinhos wie ein Geist in die Flasche zurückgekehrt; dummerweise hat Mourinho die Flasche irgendwo beim Transport zwischen Mailand und Madrid verloren. Gerüchteweise lässt Uli Hoeneß das ganze Gebiet von einem Glasscherbensuchtrupp durchkämmen. Inters Präsident, der Ölprinz Massimo Moratti soll seine Spitzengeologen ebenfalls aktiviert haben. Und Real Madrids Chef, Florentino Perez, bedauert angeblich zum ersten Mal in seinem Leben, nur die Kompetenzen zum Zubetonieren von Landschaften, aber nicht dem sorgsamen Erforschen des Untergrunds zu besitzen.
Einzig strahlendes Licht in schwarz-blauer Dämmerung
Trotz des Verlusts des magischen Instruments stellt Inter aber auch nicht mehr den Trümmerhaufen aus der kurzen Zeit der Regentschaft von Rafael Benitez dar. Leonardo hat ein paar der Einzelteile wieder schön zusammengefügt. Eto'o und Sneijder sind fit und spielfreudig. Der Mann aus Kamerun war in dieser Saison ohnehin das einzige strahlende Licht in einer andauernden schwarz-blauen Dämmerung. 30 Saisontore für Inter hat er bis zu seinem 30. Geburtstag am Donnerstag erzielt, zählte ehrfürchtig die Gazzetta dello Sport. Am ersten Tag des 31. Lebensjahres folgte Treffer 31. Eto'o ist ein echtes Mirakel.
Denn er trifft nicht nur mit fast der gleichen Regelmäßigkeit, mit der die Sonne morgens das Licht an- und es abends wieder ausknipst, er rackert auch noch härter als einst vom revolutionären Elan angetriebene Bolschewiken. Pech für Leonardo ist nur, dass er diesen auch gern verteidigenden Stürmer nicht klonen und an all die anderen Brennpunkte des Rasengevierts stellen kann. Wie sehr die Hintermannschaft wackelt, stellte am Freitag Abstiegskandidat Brescia unter Beweis. Wie wenig Entlastung Eto'o von seinen nominellen Sturmpartnern zu erwarten hat, zeigte Pandev, als er freistehend drei Großchancen versiebte. Eto'o scheiterte nach seinem Treffer zwar auch einmal aus aussichtsreicher Position, aber wenigstens eine von den drei Pandev-Möglichkeiten hätte er verwandelt und Inter damit die nervliche Achterbahnfahrt am Wochenende versperrt.
In der Spielkonstruktion leisten Eto'o, Sneijder und Pandev, die neuen Flügelspieler Nagatomo und Kharja sowie Oldie Maicon zuweilen Großartiges. Doch keiner der Beteiligten kann vorhersagen, ob der Ball den Fuß jetzt gleich zu einem traumhaften Zuspiel verlässt oder die Gesetze der Mechanik den Willen des Spielers durchkreuzen. Leonardo raufte sich deshalb zuletzt des Öfteren die ansonsten so gut frisierten Haare. Einen Rat weiß er aber nicht. Und so gibt er Durchhalteparolen aus und sagt: "Vergesst nicht, wir sind die Champions!" Ein wenig hilflos wirkt diese Aufforderung zum Erinnern schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene