Acht Jahre ohne Essen: Inderin setzt Rekordhungerstreik fort
Die Menschenrechtsaktivistin Irom Chanu Sharmila wird wieder festgenommen, weil sie ihren Protest nach mehr als acht Jahren Zwangsernährung unbeirrt fortsetzt
BERLIN taz Die indische Menschenrechtsaktivistin Irom Chanu Sharmila ist am Montag wieder festgenommen und erneut an einen über die Nase führenden Infusionsschlauch angeschlossen worden, weil sie ihren seit über acht Jahren andauernden Hungerstreik gegen ein umstrittenes Antiterrorgesetz fortsetzen wollte. Dies berichtete die indische Nachrichtenagentur PTI am Dienstag. Die in Indien als "Eiserne Lady von Manipur" bekannte Sharmila war erst am vergangenen Samstag aus ihrem Arrest im Jawaharlal-Nehru-Krankenhaus in Imphal freigelassen worden.
Die Aktivistin wurde seit dem 5. Dezember 2000 mit nur wenigen Tagen Unterbrechung zwangsernährt. Mit ihrem Weltrekordhungerstreik protestiert die inzwischen 38-Jährige aus dem nordöstlichen Bundesstaat Manipur gegen ein Sondergesetz, das Sicherheitskräften große Vollmachten einräumt. Nach Ansicht von Kritikern ist der Armed Forces Special Powers Act (Afspa) von 1958, der in Indiens aufstandsgeplagtem Nordosten seit 1980 und sonst nur noch in Kaschmir zur Anwendung kommt, ein Freibrief für Menschenrechtsverletzungen.
"Ich werde mein Fasten nur beenden, wenn die Regierung den Armed Forces Special Powers Act bedingungslos abschafft. Vorher nicht", sagte Sharmila vor Journalisten in Manipurs Hauptstadt Imphal.
Sie dokumentierte vor ihrem Hungerstreik für eine Nichtregierungsorganisation Menschenrechtsverletzungen in Manipur. Weil sie über die geringen Erfolgsaussichten ihrer Arbeit angesichts des gesetzlichen Freibriefes für Menschenrechtsverletzungen frustiert war, griff sie auf eine Methode des zivilen Ungehorsams zurück, die der indische Nationalheld Mahatma Gandhi mit Erfolg gegen die britische Kolonialmacht angewandt hatte: das Hungerfasten.
So hilflos wie damals die Briten reagiert Indiens Regierung, die sich selbst auf Gandhi beruft. Sie will Sharmilas Tod unbedingt verhindern, damit die nationalistische Bewegung in Manipur keine Märtyrerin bekommt. Weil ihr Fall große Aufmerksamkeit erregt, wurde sie am 2. Oktober 2006, Gandhis Geburtstag, in einem Gnadenakt freigelassen. Doch Sharmila fuhr nach Delhi, besuchte Gandhis Mausoleum und setzte ihren Hungerstreik in einem Park fort. Darauf ließ die Regierung sie wieder zwangsernähren.
Sharmila, die laut ihrem Bruder seit ihrer Kindheit bereits einen Tag die Woche fastete, begann ihren Hungerstreik, nachdem Paramilitärs im Jahr 2000 zehn Demonstranten erschossen hatten. Nach indischen Gesetzen ist versuchter Selbstmord mit bis zu einem Jahr Gefängnis strafbar. Dies ermöglicht den Behörden, Sharmilas Hungerstreik als Selbstmordversuch zu werten, sie immer wieder zu verhaften und zwangszuernähren. Allerdings muss sie nach einem Jahr wieder freigelassen und kann erst dann wieder festgenommen werden, wenn sie ihren Hungerstreik fortsetzt.
Sharmila ist längst eine Ikone und wurde schon für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Inzwischen ist ihre Gesundheit stark angegriffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!