■ Zum Rücktritt des Bundeswirtschaftsministers: Ach, Möllemann!
Die Behinderten sind schuld. Oder der persönliche Referent. Oder die Arbeitsüberlastung. Die vielen Auslandsreisen. Die vielen Unterschriften. All die Bittbriefe. Die Ministervorlagen. Die Pressekonferenzen. Die Arbeitsessen. 16 bis 17 Stunden am Tag hat der Bundeswirtschaftsminister für Deutschland ackern müssen. Da kann es schon mal passieren, daß ein Auslandsbrief, unterschrieben vom persönlichen Referenten, in der 16. Arbeitsstunde statt als Kabinettsvorlage an eine Behindertenwerkstatt weitergereicht wird. Oder daß ein Einkaufswagen-Chip ins Ausland reist und nach 17 Stunden dem russischen Wirtschaftsminister als Vorlage für eine Pressekonferenz dient. Oder daß eben ein Empfehlungsschreiben über Einkaufswagen-Chips des angeheirateten Vetters mit der Unterschrift des Ministers an diverse deutsche Lebensmittelketten das Haus verläßt. Oder wie oder was?
Die Affäre Möllemann hat mit dem Rücktritt des Ministers ein Ende gefunden. Unverdient, denn Möllemann ist sich weiterhin keiner Schuld bewußt. Nur einen lächerlichen Blackout gesteht er zu: Er habe dem Vorgang „keine hinreichende Aufmerksamkeit“ gewidmet. Was den Minister am meisten quält, ist der fehlende Bezug auf die Sicherung von Behinderten- Arbeitsplätzen in den Schreiben an die Supermärkte. Wie rührend! Es fehlte nur noch das Ehrenwort, und die Möllemann-Pressekonferenz hätte Barschel-Qualitäten gewonnen.
Ein Rücktritt aus Staatsräson. Bundesregierung und Freidemokraten haben gestern erfolgreich Ballast abgeworfen. Wegen des Briefbogen-Skandälchens jedenfalls ist Möllemann nicht zurückgetreten. Da gab es Minister, die schon ganz andere Affären ausgesessen haben — man erinnere nur an Ex-Verteidigungsminister Wörner und die Kießling-Affäre. Das Prinzip Möllemann — Karrierist, Lobbyist, unbedingter Parteimann — scheint aus der Mode gekommen zu sein. Gefragt sind in der Verwaltung des Defizits heute Fachkräfte, die wie Theo Waigel gekonnt und durchdacht die Kürzung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe verlangen, oder Seehofers, die eine effiziente Gesundheitsreform auf die Beine stellen.
Möllemann, dessen Fähigkeiten als Fachmann sich in seinem schnellen Mundwerk erschöpften, der Mann, der alles sagte, doch nichts verstand, hat ausgedient. Dabei war er so fleißig! Fragen dürfen dennoch erlaubt sein. Etwa diese: Wie viele Stunden am Tag arbeitet Finanzminister Waigel für Deutschland? Was tut er für die Behinderten? Klaus Hillenbrand
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