: Ach, Du heilige Nacht
■ Und doch noch eine allerallerletzte Geschichte von Frau K., die wir uns extra für diesen besonderen Anlaß aufgespart haben Von Fanny Müller
Frau K. hat Hermann Kuhlmann für den Heiligabend eingeladen, obwohl Gerda damit nicht einverstanden ist. Hermann hat Frau K. für umsonst den Tannenbaum besorgt, da er einen Arbeitskollegen hat, der einen Schwager hat, der in einer Baumschule in Pinneberg arbeitet. Da kann man schon mal was abzweigen. Gerda ist giftig. „Der hat da doch bloß auf spekuliert, der Weihnachtsmann!“
Frau K. hatte vor Jahren schon versucht, ihre Tochter mit Hermann zusammenzubringen, trotzdem er ja viel älter ist. Aber Hermann hat eine feste Arbeitsstelle, und mit Trinken hat er aufgehört. „Mit was annerm hat der bestimmt auch aufgehört“, behauptet Gerda. Das findet Frau K. nicht schlimm, im Gegenteil.
Insgesamt muß ich aber Gerda recht geben. Innere Werte schön und gut, aber schließlich würde auch ich davor zurückschrecken, mein Schicksal an das eines Mannes zu binden, dessen Erscheinung den Eindruck erweckt, als wolle er jeden Moment die Gardinenstange hochsausen, um dann von oben mit Kokosnüssen zu schmeißen. Wenn sie sonst nichts vorzuweisen haben, dann sollten Männer zumindest dem Auge etwas bieten.
Spät am Heiligabend laufe ich runter, um „Frohes Fest“ zu wünschen und eine Kleinigkeit für Frau K. abzuliefern. In der Wohnstube ist dicke Luft. Ywonne führt mich eilig in die Küche und schenkt mir ein Glas süßen Weißwein ein. „Mamma is stocksauer und Oma auch. Und breit sind die!“ „Was war denn?“ Sie setzt mich ins Bild.
Hermann war mit einem Strauß Nelken plus Spargelkraut angekommen und hatte Gerda ein Buch geschenkt. Hermann ist im Buchklub. Anscheinend hatte er ihr das Geschenk mit ein wenig gönnerhafter Miene überreicht und dazu einen Vortrag gehalten, wie gut es einer Frau anstünde, auch mal ein Buch ... und Gerda, die schon eine halbe Flasche von irgendwas Kräftigem vernichtet hatte, wurde fuchsteufelswild.
Sie teilte ihm mit – wenn auch nicht exakt mit diesen Worten – aktuelle Untersuchungen hätten gezeigt, daß heutzutage Frauen durchaus in der Lage seien, sich eigenständig Zugang zu Büchern zu verschaffen. Danach hatte sie ihm gesagt, was er mit dem Buch machen solle.
„Das wollte er aber nich“, fügt Ywonne hinzu. Und? Was war das für ein Buch? Tja, das wäre ja noch das Größte überhaupt, ein unanständiges Buch! Von Rosamunde Pilcher. Gerda hatte den Titel vorgelesen. Die Muschisucher oder so.
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