: Abwicklungsvollmacht für Radunski
Per Staatseingriff will die CDU „dem Chaos“ an den Unis abhelfen. Ohne gesetzliche Grundlage werden Studiengänge abgewickelt. TU-Professor geißelt Kollegen des „unwürdigen Kotaus“ ■ Von Christian Füller
Die Hochschulpolitiker der CDU haben ein Steckenpferd. Es heißt Eingriffsrecht und geht so: Ignoriert eine Universität die Aufforderung, Fachbereiche zu schließen, „so kann das für die Hochschulen zuständige Mitglied des Senats die erforderlichen Entscheidungen und Maßnahmen anstelle der Hochschule treffen“. Hinter dieser juristischen Formel verbirgt sich eine glatte Abwicklungsvollmacht. Keine gute Basis für kritische Wissenschaft.
Seit Jahren schon versuchen die Christdemokraten, dem Wissenschaftssenator die exekutive Vollmacht zu geben. Im Haushaltsgesetz, das gerade unter Blut, Schweiß und Tränen beraten wird, wollen sie nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie wollen das Eingriffsrecht ins Hochschulgesetz schreiben – und es, obwohl noch ohne Rechtskraft, gleich anwenden. Mit dem Haushaltsgesetz würden ganze Studiengänge an den Unis abgewickelt (siehe Kasten).
Die Uni-PräsidentInnen haben diesen Eingriff in die Hochschulautonomie als „rechtswidriges Verfahren“ gebrandmarkt. Aber auch Staatsrechtler und Anwälte bewerten den Vorgang ausgesprochen kritisch. Die Auflösung von Studiengängen wäre der „Vollzug eines nicht vorhandenen Gesetzes“, sagte der Anwalt Frank Lansnicker. Im Land Berlin gebe es noch kein Gesetz, das die Auflösung von Fachbereichen durch den Staat erlaubt. Das Berliner Hochschulgesetz jedenfalls überläßt Strukturentscheidungen allein den Universitätsgremien. Aber selbst wenn es die Abwicklungsermächtigung bereits gäbe, würden Senat und Abgeordnetenhaus glatt gegen sie verstoßen. Die Universitäten wurden nicht etwa aufgefordert, Fachbereiche zu schließen. Diese Beschlüsse wurden ihnen kurzerhand mitgeteilt, und der Wissenschaftsausschuß hörte sich die Bedenken an. Das war's. Wissenschaftsfreiheit und freie Berufswahl sind aber hohe Verfassungsgüter, in die nur im äußersten Notfall eingegriffen werden darf. Das hat das Verfassungsgericht mehrfach ausgeführt und auch die Verwaltungsgerichte fordern beim Abbau von Studienplätzen eine nachvollziehbare Abwägung (siehe unten). Die hochschulpolitischen Passagen des Haushaltsgesetzes nennt Lansnicker schlicht eine „Schlamperei“.
Die zuständigen PolitikerInnen denken inzwischen ähnlich. Zwar sind sich alle einig, daß die Unis die vorgegebenen Sparbeiträge wirklich erbringen müssen, das aber ohne staatliche Strukturdiktate. So will der hochschulpolitische Sprecher der SPD, Bert Flemming, sowohl die Streichung von Studiengängen als auch das Eingriffsrecht wieder abschaffen: „Ich halte das Ganze für unseriös und hoffe, daß ich das aus dem Haushaltsstrukturgesetz wieder herausbekomme.“ Seine CDU-Kollegin Monika Grütters findet, das Gesetz leide „an Geburtsfehlern“. Zum Eingriffsrecht für den Wissenschaftssenator aber steht sie. Es sei den Unis „nicht zuzumuten, sich selbst zu amputieren“. Das wollen die Christdemokraten schon selber machen. Deswegen erhob die CDU die Abwicklungsvollmacht auf ihrer jüngsten Parteiklausur zum Essential. Der Grund: Das „Chaos an den Hochschulen“.
Tatsächlich scheinen die Unis strukturell reformunfähig zu sein. In ihren Selbstverwaltungsgremien neutralisieren sich seit 1968 die politischen Lager in einem beispiellosen Stellungskrieg. Die Studentenbewegung brachte die Gruppenuniversität, also die gleichberechtigte politische Teilhabe der verschiedenen Gruppen: Professoren, Assistenten, Studenten, andere Mitarbeiter. Das Verfassungsgericht bestätigte dies 1973 im Prinzip – reservierte der Gruppe der Professoren aber die Mehrheit in allen Gremien. Seitdem geht so gut wie nichts mehr: Die Professoren hüten peinlich ihre Pfründe – und tun sich gegenseitig nicht weh. Die Studenten gefallen sich, abgeschreckt von ihrem demokratischen Pariadasein, in einer Fundamentalopposition.
Der Staat hält sich bisher in Berlin mehr oder weniger raus. Über die paritätisch von akademischen und staatlichen Vertretern besetzten Kuratorien, die es in anderen Bundesländern nicht gibt, nimmt er Einfluß auf inneruniversitäre Angelegenheiten. Mal mißachtet der Senator zwar eine Berufungsliste, doch die Polizei auf dem Campus gilt – noch – als verpönt. Dieser fragile Konsens über die Autonomie ist akut gefährdet.
Selbst an der Technischen Universität, die dank einer hohen politischen Kultur beachtliche Reformen zustandebrachte, ist inzwischen die Pest der Denunziation ausgebrochen. In einem Brief an den Regierenden Bürgermeister rufen 110 Professoren den Staatseingriff herbei. Die Hoppla-Hopp- Entscheidung des Senats, ganze Studiengänge zu streichen, mutiert darin zum „wohlüberlegten Konzept“. Mit dem klassischen Ruf nach der starken Hand des Staates flehen die Professoren Eberhard Diepgen (CDU) an, er solle „den die TU prägenden Bereich der Ingenieur-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften“ unangetastet lassen – und statt dessen die Lehramtsstudiengänge samt Germanistik abwickeln. „Einen unwürdigen Kotau vor der derzeitigen Übermacht überforderter Politiker“ beantwortete der Historiker Werner Dahlheim das Schreiben seiner TU-Kollegen. Dahlheim warnte energisch davor, „das geisteswissenschaftliche Experiment an der TU“ aufzugeben.
Der Professor aus dem Institut für Geschichtswissenschaft weiß warum. Die TU war im letzten Jahrhundert als „Charlottenburger Hochschule“ das Lieblingskind von Kaiser Wilhelm. Sie trieb das Tirpitzsche Flottenbauprogramm, das geradewegs in den Ersten Weltkrieg mündete, kräftig voran. Auch zwischen den Weltkriegen waren „die Charlottenburger“ eine Hochburg des Militarismus, Nationalsozialismus und Antisemitismus, was sich schon damals häufig in devoten Briefen an die Mächtigen ausdrückte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete man die Charlottenburger Hochschule bewußt neu als Technische Universität, indem man ihr philosophische, historische und soziologische Disziplinen beigab. Humanistisches Räsonnement sollte „die Ingenieure“ vor erneuten Machtphantasien bewahren.
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