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Abstimmung über BundespräsidentenWahl ohne Wunder

Am Mittwoch stimmt die Bundesversammlung über die Nachfolge von Horst Köhler ab. Die Debatte über die Kandidaten war kontrovers wie selten. Dabei steht der Sieger eigentlich fest.

Eins, zwei oder drei? Wer BundespräsidentIn wird erfahren Sie am Mittwoch. Bild: dpa

BERLIN taz | Julia Klöckner ist berühmt geworden an diesem Tag, mit nur einem Satz. "Leute", schrieb die CDU-Politikerin per Kurznachrichtendienst Twitter, "ihr könnt in Ruhe Fußball gucken. Wahlgang hat geklappt!" Es war der 23. Mai 2009. Horst Köhler wurde für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident wiedergewählt.

Nach dem überraschenden Rücktritt Köhlers am 30. Mai dieses Jahres wird nun, am Ende der 30-Tages-Frist, sein Nachfolger von der Bundesversammlung gewählt. Oder seine Nachfolgerin. Drei KandidatInnen von den im Bundestag vertretenen Parteien stehen zur Wahl. Union und FDP haben den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff aufgestellt, Grüne und SPD den Bürgerrechtler Joachim Gauck. Und die Linkspartei tritt mit der Exjournalistin Luc Jochimsen an.

Doch der Favorit ist Christian Wulff - Schwarz-Gelb hat eine Mehrheit von 23 Stimmen. Trotzdem gilt die Wahl als spannend. Die drei Delegierten der sächsischen FDP haben angekündigt, für Joachim Gauck stimmen zu wollen, so auch der Bremer FDP-Landeschef Oliver Möllenstädt.

Die Bundesversammlung

Zusammensetzung: Am Mittwoch wählt die Bundesversammlung den Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Horst Köhler. Sie besteht aus allen Mitgliedern des Bundestags und ebenso vielen von den Landtagen entsandten Mitgliedern. Diese spiegeln die Bevölkerungszahlen der Länder wider, zudem wird die Zusammensetzung der Landesparlamente nach Fraktionen berücksichtigt. Daher werden auch zehn Delegierte der freien Wähler, drei der NPD und einer des Südschleswigschen Wählerverbands in die Versammlung entsandt.

Wahlgänge: Da der Bundestag derzeit aus 622 Mitgliedern besteht, wird die Versammlung dieses Mal 1.244 Wahlfrauen und Wahlmänner zählen. Neuer Bundespräsident wird, wer im ersten oder zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit erhält. Trifft dies auf keinen der Kandidaten zu, gilt als gewählt, wer im dritten Wahlgang eine relative Mehrheit erreicht.

Promis: Die Landtage können auch Personen des öffentlichen Lebens nominieren. Die Grünen haben sich etwa für die Schauspielerin Nina Hoss und die ehemalige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher als Wahlfrauen entschieden. Die CDU schickt unter anderem die Verlegerin Friede Springer ins Rennen. Und die Linke hat beispielsweise Konstantin Wecker als Wahlmann ausgewählt.

Und dann ist da ja noch die Gruppe der Unzufriedenen, der Beinsteller und Abstrafer. Die hessische CDU könnte zum Beispiel ihren ehemaligen Landeschef Roland Koch rächen wollen, dem Kanzlerin Merkel nie einen einflussreichen Posten im Bundeskabinett angeboten hat. Fans von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) könnten Wulff die Stimme verwehren, weil sie lieber ihre Kandidatin als Präsidentin gesehen hätten.

FDP-Delegierte aus Ost und West gelten ohnehin als Unsicherheitsfaktor, weil die FDP bei so vielen Themen der Bundespolitik den Kürzeren gezogen hat - und die Merkel-Skeptiker sind in den vergangenen Wochen ebenfalls zahlreicher geworden. Die Koalition versucht hektisch gegenzusteuern: "Bei dieser Bundespräsidentenwahl muss das christlich-liberale Lager zusammenstehen und es wird zusammenstehen", sagte etwa der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer.

Die vielen parteitaktischen Überlegungen vor der Stimmabgabe haben eine Debatte ausgelöst über die Freiheit der Bundespräsidentenwahl, die im Grundgesetz verankert ist. Selbst die Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf haben gefordert, die Wahl nicht mit der Tagespolitik zu verknüpfen.

Von dieser Debatte hat besonders der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck profitiert, der als Antipolitiker in allen Bevölkerungsschichten erstaunlichen Zuspruch erhält und sogar auf der Internet-Plattform Facebook über 40.000 AnhängerInnen gewinnen konnte.

Damit es am Ende für Gauck reicht, müsste trotzdem ein kleines Wunder geschehen. Sollte Christian Wulff in den ersten beiden Wahlgängen durchfallen - das gilt nicht als ausgeschlossen - würde im dritten Wahlgang die relative Mehrheit der Stimmen ausreichen. Doch selbst dann müsste Gauck nicht nur die 23 fehlenden Stimmen aufholen. Er wäre auch auf die 124 Stimmen der Linkspartei angewiesen. Und aus dieser haben zahlreiche Delegierte Gauck bereits als "unwählbar" bezeichnet. Also ist wohl doch schon alles entschieden für Christian Wulff.

Fußball wird übrigens am Mittwoch nicht angepfiffen. Die WM hat spielfrei.

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16 Kommentare

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  • AL
    Astrid Lender-Deehagen

    Egal ob Gauck oder Wulff.Eine Frau mit Format muß Bundespräsidentin werden.Meine Favoritin wäre da ganz eindeutig Angela Marquardt von der SPD.Sie wäre die perfekte Repräsintantin für unser Land auf der nationalen und internationalen Bühne.Sie macht eindeutige Aussagen zur deutschen Vergangenheit.Sie ist bekennende Feministin.Eine Frau wie sie brauchen wir dringend in Zeiten,wo überholtes "Hermansches" Gedankengut bei vielen Leuten wieder hoffähig zu werden scheint.

     

    Astrid Lender-Deehagen/Feministin der 1.Stunde

  • JJ
    ja, ja

    Scharlie hat Recht:

    "Wer einen Ökoterroristen wie Sander in seinem Kabinett freie Hand lässt, hat als Bundespräsident nichts zu suchen."

    NEIN zu Wulff!

  • A
    anzugcase

    Nicht vergessen: Wulff wie Gauck brauchen den gutdotierten Job um ihre Expartnerinnen alimentieren zu können.

     

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,701759,00.html

     

    http://www.focus.de/panorama/welt/ende-einer-ehe_aid_110042.html

  • C
    carlos

    ..na klar steht der Verlierer fest: die manipulierte Öffentlichkeit. Aber immerhin ist die TAZ eine der wenigen Medien, die nicht so offenkundig eingebunden desorientiert wie Liz Mohn, Frau Friede und Konsorten. Und die TAZ erwähnt sogar Luc Jochimsen. Allerdings erwarte ich von der TAZ etwas mehr kritische Hintergrundinformation über die „KanidatInnen - z.B. Joachim Gauck so selbstverständlich als „Bürgerrechtler” einzuordnen; etwas weitreichende Recherche über und Skeptizismus gegenüber diesem umtriebigen Herrn der sensiblen Wendefähigkeit wäre sicher aufschlußreich.

    Einem systemübergreifennden Nutznießer, heute ebenso wie vor dem Mauerfall. Was für ein Hype über diesen selbstgefälligen Verkünder von Freiheitsplattitüden und sozialer Ausgrenzung. Und was sagt die kalkulierte Schlichheit Josef Joppe - ja, genau der - beim letzten Pressclub, über seinen Bruder nicht nur Geiste, sondern auch in etlichen Organisationen: Gauck sei der Kandidat der Herzen. Was sagte Gay Talese: „Sie lügen alle. Man darf Ihnen nichts glauben. Niemals.” War eigentlich auf Politiker gemünzt. Gilt aber sich auch für deren Claqueure in den Chefredaktuerssesseln.

  • M
    Martin

    naja, auch das ist nicht würdig und nicht demokratisch, nämlich daß fast alle medien, auch die taz, den vierten kandidaten verschweigen. ist das nötig, sind die rechtsradikalen so eine gefahr, daß man sie totschweigen muß? wenn die taz da mitmacht, dann brauch sie auch nicht den hotelrauswurf dieses nazis thematisieren, sogar mit einer tagesumfrage.

  • CC
    Claus Carstensen

    @ nee nee

     

    Ja grade bissl herumgelelesen, und schon seltsam, daß alle Medien das verschlucken.

     

    Ich HASSE die Faschos, aber aber wenn es einen Kandidaten von denen gibt, gehört das in die Artikel mit hinein.

  • KK
    Klaus Klüngel

    Wie schon von anderen angedeutet, hat es einen faden Beigeschmack diesen Reinike nicht darzustellen.

  • A
    Apa

    "Von dieser Debatte hat besonders der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck profitiert, der als Antipolitiker in allen Bevölkerungsschichten erstaunlichen Zuspruch erhält und sogar auf der Internet-Plattform Facebook über 40.000 AnhängerInnen gewinnen konnte"

     

    Na und? Mit der richtigen medialen Meinungsmache kann man auch "Bernd das Brot" zum Bundespräsidenten der Herzen der Facebook-User machen.

    Ich könnte wetten, dass 95% der "Fans" keinen Schimmer haben, wofür Gauck steht.

    Wulff ist halt gerade "out", Jochimsen war nie "in" und Gauck, die coole Sau, redet doch so toll von Freiheit und so... Außerdem ist der gegen die SED, ist schließlich wichtig, dass heutzutage minütlich auf den Unrechtsstaat vergangener Tage hingewiesen wird, sonst schleicht sich angesicht der weltweiten Krise noch das Gespenst "Sozialismus" ein.

    Niemand will Orwells "1984", also brauchen wir einen Bundespräsidenten, der voll anti ist.

    Wogegen eigentlich?

     

    "Schöne, neue Welt, die solche Bürger trägt"

     

    Nicht Orwell hatte Recht, sondern Huxley...

  • LC
    Lucas Castro

    So traurig es auch ist, so unmöglich die Chance dass es Erfolg hat, so wichtig wie es auch ist, der NPD keine Plattform zu bieten, so hat die NPD dennoch einen Kandidaten -frank rennicke- aufgestellt, was in diesem Artikel nicht ansatzsweise erwähnt wird, so als gebe es tatsächlich keine weiteren Kandidaten.

    Das entspricht zunächst der nötigen journalistischen Gründlichkeit in keiner Weise. Der Redakteur sollte umfassend informieren ohne wissentlich durch Auslassung den Inhalt zu manipulieren und davon ausgehen, dass sich jede Leser_in eingeständig ein Urteil über die NPD-Kandidatur bilden kann, statt die Leser_innen bereits im Vorhinein in diesem zu präjudizieren. Da sich ja gefühlte 95% der Bevölkerung und 99,843% der taz-Leser_innen sowieso kritisch zu einem NPD-Präsidenten verhalten, erscheint mir diese vorauseilende Vorsicht unnötig. Stattdessen wurde hier die Möglichkeit verpasst, darauf hinzuweisen wie sehr sich die NPD durch die Nominierung als bürgerlich gerieren will und den Kampf um die Köpfe weiter vorantreibt.

    Am verherrendsten scheint mir, dass hier die taz wie so viele andere Publizisten den Neofaschisten eine Steilvorlage bieten sich als Opfer darzustellen und Unentschlossene und Desorientierte mit Verschwörungstheorien über die "jüdische Feindpresse" auf ihre Seite zu ziehen. Und dann genau diese Berichterstattung zitieren [ vgl. http://www.nno-tv.de/?p=2358]

     

    Wäre es nicht viel angebrachter, genau deswegen die Kandidatur aggressiv in den Fokus zu nehmen und darüber zu berichten,wie die NPD die Kandidatur instrumentalisieren will?

  • S
    Scharlie

    Wer einen Ökoterroristen wie Sander in seinem Kabinett freie Hand lässt, hat als Bundespräsident nichts zu suchen.

  • J
    Jane

    Also wieder so eine Hochleistungslusche als BP, he?! Naja, ein fauler Apfel mehr auf dem Kompost fällt auch nicht mehr ins Gewicht...

  • D
    Daniel

    Ein sehr interessanter Artikel, nur verstehe ich es nicht wieso ihr wie eigentlich alle großen Medien den Kandidaten der NPD Franck Rennicke nicht erwähnt. Es bringt nichts die rechte Gefahr totzuschweigen. Sie ist präsent und durch nicht berücksichtigung drängen wir sie in eine Opferrolle die sie nur noch stärker macht. Ich finde das der Kandidat zumindestens erwähnt werden muss und bei eurer Entscheidung des Tages auch wählbar sein muss. Das ist in einer Demokratie nunmal so. Danke liebe taz

  • CD
    carlo di fabio

    wunder gibt es immer wieder...

     

    mauerfall: karl maria schulte schickt gorbatschow eine friedensbotschaft, gegen hochrüstung + für gemeinsame sicherheit in europa. briefüberbringer vadim sgladin wird berater von "gorbi". ein halbes jahr nach schultes botschaft überrascht gorbatschow die welt mit weitereichenden abrüstungs- und friedensinitiativen.

     

    schulte kandidiert jetzt überraschend fürs amt des bundespräsidenten. mal sehn, wer ihn in der bundesversammlung vorschlägt. jedenfalls sind alle delegierten per mail informiert worden.

     

    das wäre einer aus dem volk, ein bürgerrechtler, der seit jahren unter inkaufnahme von nachteilen für saubere wahlen sorgt: Az WP 146/09 bundestagswahlprüfungsausschuß und BVerfGE 122 nr.11.

    einstimmig beschloß das verfassungsgericht auf seine initiative hin, die wahlprüfung zu verlängern. bei weiteren themen werden sie ihm wohl bald ebenfalls folgen.

    gauck spaltet die (ex)-bürgerrechtler (TAZ).

    hat einen ex-nazi als vorbild und will als pfarrer nun auch noch politik predigen, die menschen in falscher sicherheit wiegen.

    wulff ist ein parteien-systemmensch, quasi lebensgschichtlich und institutionell befangen.

    statt weitere berater zu finanzieren, sollte er erstmal selber denken, wo's angesichts der funktionsgrenze unserer zivilisation (welzer) jetzt langgehen sollte.

     

    schulte hat angekündigt, schon ein halbes jahr nach seiner wahl die VISION D vorzulegen! er ist pädagoge, publizist, zukunftsforscher, verfassungsexperte, einer aus dem volk mit biß und humor...

     

    wunder gibt es immer wieder!

     

    wonderful!

  • V
    vantast

    Erinnert sehr stark an das Wahlrecht in der DDR. Das Ergebnis stand schon vorher fest. Über 90 % für den nominierten Kasper.

  • S
    Snuggles

    Na, dann. Falls Wulff gewählt wird, wer ist Schuld, natürlich, Die Linke. Und falls ein Kühlschrank am Polarkreis ausfallen sollte, wer ist Schuld, Die Linke. Fortwährend wird Die Linke als ewiggestrig bezeichnet, doch die ewiggestrigen gibt es auf beiden Seiten. Dazu zähle ich auch Gauck. Laut Tageschau ist er "Der Demokratielehrer". So wie die Demokratie aktuell in Gestalt der Regierung herkommt: Finanzkrise ohne Folgen für die Verursacher, Bespitzelung der Mitarbeiter von Konzernen, die Kinderarmut nimmt in einem der reichsten Länder zu, dies sind nur einige Beispiele, dann ist Sie gescheitert.

    Ich gebe nicht Herrn Gauck die Schuld für die Probleme,nein, bestimmt nicht. Aber es darf massiv bezweifelt werden, dass er der Mahner ist, zu dem er ständig hochstilisiert wird. Denn Sozial und Fürsorge sind ihm ja bekanntlich ein Dorn im Auge. Aber auf diesen Fundamenten ruht nun mal unsere Demokratie. Wie jeder Kandidat, will er Präsident aller Deutschen sein, meiner wäre er nicht, übrigens auch Wulff nicht, aber man gibt die Hoffnung ja nicht auf.

  • NN
    nee nee

    Eigentlich gibt es doch noch einen 4. Kandidaten!?

    Oder habe ich da etwas übersehen???

    Ist aber wohl nicht politisch korrekt,oder!?