Abstand von Berlin kommt an

Wahlkampf in Rendsburg. Auf dem Wochenmarkt, in der Fußgängerzone und auf dem Aldi-Parkplatz kämpfen Kommunalpolitiker um Stimmen. Sie sind schon froh, wenn einer mit ihnen spricht

VON ESTHER GEISSLINGER

Die weißhaarige Dame ist aufgeregt: diese Ausländer, die kriminellen – „mit der Nilpferdpeitsche würd’ ich die aus dem Land jagen!“. Ihre sorgfältigen Locken vibrieren vor Zorn, und Christian Delfs, Abgeordneter der CDU im Kreistag Rendsburg-Eckernförde und Kandidat der Kommunalwahl, versucht zu beschwichtigen: „Deutschland ist nun mal ein Einwanderungsland.“ Immerhin: Die Dame nimmt Flyer mit – eine Wählerin.

So emotional geht es nur selten zu am Stand der CDU in der Rendsburger Fußgängerzone. Die Stimmung sei zwar gut, aber „das Interesse könnte größer sein“, meint Delfs. Dabei ist die Wahl im größten Kreis des Landes spannend: Neben den Ortsparlamenten und dem Kreistag wird ein Landrat direkt gewählt.

Der Amtsinhaber, ein CDU-Mitglied, wird von seiner Partei nicht unterstützt. Die Union stellt einen Parteilosen dagegen, die SPD schickt einen Seiteneinsteiger ins Rennen. Das ist schwer zu vermitteln und wahrscheinlich, fürchtet Delfs, wird die Wahlbeteiligung gering sein.

Für die CDU ist diese Wahl ohnehin schwer: Ihr Traumergebnis von landesweit mehr als 50 Prozent wird sie nicht wiederholen. Wie es ausgeht? „Hmm“, sagt Delfs. „Aus Marketinggründen müsste ich mehr sagen, als ich glaube. Auf jeden Fall sind wir über zehn Prozent vor der SPD.“

Das sehen die Genossen, ein paar hundert Meter weiter, ganz anders. „In den Städten haben wir Chancen auf Mehrheiten“, sagt der Kreistagsabgeordnete Kai Dolgner. Aber es sei immer schwerer, in die Köpfe der Leute hineinzusehen: „Wenn Plakate nicht abgerissen werden – ist das Zustimmung oder Lethargie?“ Es geht am Stand, wie auch bei der CDU, um Schulpolitik und Sicherheit, um Baupläne und Ortsgestaltung.

Auch die Bundespolitik spielt eine Rolle, jüngstes Reizthema ist die Diätenerhöhung. „Und ich musste mir schon Ärger über Schwarz-Grün in Hamburg anhören“, sagt Dolgner. „Da konnte ich nur sagen: Die SPD mag an vielem Schuld sein, aber daran nun nicht.“

Zorn über das Hamburger Bündnis trifft auch Armin Rösener und Klaus Schaffner von den Grünen. Sie stehen vorzugsweise auf einem Wochenmarkt: Wie bei allen kleinen Parteien gibt es wenige Hilfskräfte. Im Wahlkampf sind die Tage der Kandidaten lang. „Aber es ist wichtig, präsent zu sein“, sagt Rösener. Er hat schon in Stadtrat und Kreistag gesessen und will wieder in Ämter. Manchmal, wenn sich Leute auf ein Gespräch einließen, gelinge es, sie zu überzeugen. „Davon zehrt man“, sagt Rösener.

Der SSW hat es leichter. „Man kann ja niemand wählen außer euch“, sagten viele Leute, berichtet Morten Jochimsen. Die Minderheitspartei ist im Norden stark. Der Kreis Rendsburg-Eckernförde ist der südlichste, in dem sie antritt. Der SSW steht prinzipiell eher links der Mitte. Allerdings wechselte in Rendsburg eine SSW-Ratsfrau zur CDU, und der Hinweis im Programm, sich bei der Arbeitsmarktpolitik an Dänemark zu orientieren, könnte bedeuten, den Kündigungsschutz zu verschlechtern. Aber am Stand ist anderes wichtig. „Wir sind eine Partei ohne Berliner Klüngel“, sagt Jochimsen. Das kommt an.

Davon will auch die „Liste Wilken“ profitieren, deren Stand neben dem des SSW steht. Die Liste Wilken ist nicht die FDP, sagt Kandidatin Sabine Stechmann: „Wir sind unabhängig. Wir stimmen sogar im Rat manchmal gegeneinander ab.“ Die FDP-Kreischefin hatte allerdings gesagt, dass auf Ortsebene Fritjof Wilken Ansprechpartner sei. „Ja, ich bin in der FDP, aber hier treten wir als Liste an“, sagt der. Nur die eigene Meinung und Argumente zählten, behauptet Stechmann: „Die anderen müssen der Parteilinie folgen.“

Parteilinie? Haben die Linken nicht: Obwohl Genossen im Bundestag und mehreren Landtagen sitzen, fehlt ein Grundsatzprogramm. Viele Forderungen, die die Linke zur Kommunalwahl stellt, ließen sich nur in Berlin durchsetzen. Egal: Der Zuspruch sei groß, berichtet Heinz-Werner Jezewski, Kandidat in Flensburg und drückt zwei Jungs Bonbons in die Hand: „Die meisten sagen: Wir wählen euch eh. Für uns ist das hier wie Urlaub.“

An den Stand vor einem Aldi-Markt kommen Menschen, die sich als Verlierer fühlen und froh sind, ihren Ärger loszuwerden. „Einigen muss man sagen: Kommt wieder, wenn ihr nicht so viel Bier hattet“, sagt Jezewski. Aber die meisten Gespräche seien gut: „Wir hören, was die Leute wollen.“ Aber er weiß auch: „Von 400, die sagen, dass sie uns wählen, gehen 200 nicht hin.“

Dieses Problem teilen alle Parteien. Denn unsichtbar steht ein weiterer Stand in allen Fußgängerzonen, und er ist groß: Er gehört der Partei der Nichtwähler.