Abschuss-Erlaubnis: Der Wolf als Kulturfeind

Mit einem neuen Plan will man in Sachsen jetzt den Umgang mit Wölfen regeln. Wenn die seltenen Raubtiere sich nicht benehmen, dürfen sie geschossen werden.

Keine tote Katze, sondern ein Junges im Maul: Wolf - gesichert im Tierpark Sababurg. Bild: dpa

Die Angst vor dem Wolf sitzt tief seit Rotkäppchens Zeiten. Vergebens versichern Experten und Wolfsflüsterer, Meister Isegrimm habe vor unsereinem mindestens ebenso viel Angst wie wir vor ihm. "Nach allen Erkenntnissen ist der Mensch in Sachsen vor dem Wolf sicher", erklärte Sachsens Umweltminister Frank Kupfer (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung des Management-Planes für die rund 45 Wölfe im Freistaat. Einen Plan, den sogar die Umweltstiftung WWF mit der Überschrift "Wolfs-Schutz in Deutschland nimmt entscheidende Hürde" kommentierte.

Das Irrationale spielt bei unserem Umgang mit dem seit 105 Jahren ausgerotteten vermeintlichen Kulturfeind eine wesentliche Rolle. So auch beim Misstrauen gegenüber allem, was aus Polen kommt. Gnadenlos wurden zu DDR-Zeiten jene 22 Wölfe erschossen, die die Oder-Neiße-Friedensgrenze illegal überschritten, bevor 1996 der erste Wolf wieder auf einem Truppenübungsplatz bei Bad Muskau gesichtet wurde. Auch die Jagd hat selbstredend mit Leidenschaft zu tun. Welcher Jäger schösse nicht gern einmal einen Wolf, wenn schon an Löwen und Elefanten kein Herankommen mehr ist?

Sehr rational und konkret wird es hingegen, wenn es um gerissene Nutztiere geht. Seit dem Jahr 2002 hat das gefürchtet Raubtier genau 201 von ihnen zum Nachtisch verspeist, überwiegend Schafe. Das schürt Ängste, lässt sich instrumentalisieren und kann im Einzelfall für den Tierhalter empfindliche Einbußen bedeuten. Aber auch hier ist Aufklärung angebracht. Der Wolf ernährt sich zu 95 Prozent von wilden Huftieren, vor allem von Rehen. Für die gefressenen Schafe zahlte der Freistaat in diesem Zeitraum rund 34.000 Euro Entschädigung. Zum Vergleich: Die vom Kormoran verursachten Schäden lagen im Jahresdurchschnitt bei 566.000 Euro.

Die Sächsische Staatsregierung will sich mit den Wölfen arrangieren. Diese Linie ist spätestens seit Einrichtung eines Wolf-Kontaktbüros in der Lausitz im Jahr 2004 klar. In der ehemaligen Tagebaulandschaft leben die fünf Rudel und werden mit Wolfswanderungen oder Wolfsschnaps bereits touristisch vermarktet. Nun hat man sich mit rund 60 Interessenvertretern an einen Tisch gesetzt und nach amerikanischem Vorbild einen Wildtier-Managementplan für den Wolf in Sachsen ausgearbeitet. Umweltminister Kupfer betonte dessen vorläufigen Charakter. Denn Ziel bleibe über die Abstimmung mit den Nachbarn hinaus ein europäischer Plan für alle Wolfspopulationen.

Bezeichnenderweise haben vier Jagdverbände dem sächsischen Wolfsmanagement nur unter Vorbehalt zugestimmt. Eine Bürgerinitiative "Leben mit dem Wolf" aus der Umgebung von Bautzen lehnte das Papier ab, weil ausnahmsweise Abschussmöglichkeiten vorgesehen sind. Damit ist die Spannweite der eingeflossenen Meinungen in dem ansonsten mit breiter Mehrheit verabschiedeten Plan aufgezeigt. Sein Ziel ist ein "möglichst konfliktfreies Nebeneinander von Menschen und Wölfen". So stellt der Plan erst einmal Verantwortlichkeiten und Verfahrensabläufe klar. Zuständig für den Artenschutz sind nach der Funktionalreform die Landratsämter. In Kurzform wird über Lebensgewohnheiten und Habitatformen informiert. Mindestens 200 Quadratkilometer mit Rückzugsräumen braucht ein Wolf, weshalb er nie an Großstädte heranrücken wird. Für verarmte und entleerte ostdeutsche Gebiete wird deshalb schon sarkastisch der Begriff "Wolfseinzugsgebiet" gebraucht.

Tierhalter erfahren, welchen Weg sie bei einem Schaden gehen müssen. Schutz vor dem sehr lernfähigen Wolf bieten nach praktischen Erfahrungen Zäune und andere Abschreckungsmaßnahmen kaum. Einzig spezialisierte Herden-Schutzhunde nach Schweizer Vorbild haben sich bewährt. Um Vertrauen werben detaillierte Beschreibungen des Wolfsverhaltens bei Annäherung an bewohnte Gebiete und empfohlene Reaktionen. Ganz üble, sozusagen terroristische Elemente, die in Sachsen noch nicht beobachtet wurden, dürften dann auch legal geschossen werden. "Entnehmen" heißt das in der Fachsprache etwas verschämt.

Abschließender küchenpsychologischer Verdacht: Wir bekämpfen im Wolf nur verdrängte eigene Anlagen. Auch wir leben in Rudeln, bleiben aber menschenscheu. Als Pendler oder Abwanderer suchen auch wir neuen Lebensraum. Und wie umrissen Plautus und der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes die Wolfsgesellschaft? "Homo homini lupus est!"

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.