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Abschiebezentrum am BER auf ZielgeradenMenschenrechte im Sinkflug

In Schönefeld soll der Bebauungsplan für das umstrittene Abschiebezentrum abgesegnet werden. „Abschiebezentrum BER verhindern“ stellt sich dagegen.

Demonstration gegen das geplante Abschiebe­zentrum am Flughafen BER am Sonntag Foto: Sören Stache/dpa

Schönefeld taz | Abschiebungen „schneller und effizienter gestalten“ – das ist nach Bekunden des Bundes das erklärte Ziel des geplanten „Ein- und Ausreisezentrums“ am Flughafen Berlin-Brandenburg. Nun braucht es für die Bauentscheidung noch die Zustimmung von der Schönefelder Gemeindevertretung, die soll am Mittwoch fallen.

Dagegen gibt es Widerspruch: Am Sonntag rief ein breites Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Demonstration in Schönefeld auf. Vor dem Rathaus im Zentrum der überschaubaren Gemeinde versammelten sich etwa 150 Menschen, um gegen die Pläne von Bund und Land zu protestieren, darunter viele Menschen mit Fluchterfahrung. „Das Abschiebezentrum ist ein Symbol der Ausgrenzung, für die es in der Gesellschaft keinen Platz geben darf“, kritisierte Kebbeh von der Initiative „Solidarity Movement“. „Hier werden Menschen kriminalisiert, die Schutz suchen vor Krisen, die Deutschland mit hervorgebracht hat. Hier werden sie jetzt dafür eingesperrt“, so Kebbeh.

Für die Geflüchte­ten­initiative Alan Kurdi ist das Abschiebe­zentrum Ausdruck einer neuen „Abschiebe-Ära“

Für die Geflüchteteninitiative „Alan Kurdi“ ist das Abschiebezentrum Ausdruck einer neuen „Abschiebe-Ära“ in Deutschland und weist neben der zunehmenden Inhaftierung von Schutzsuchenden auch auf die Einführung permanenter Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen hin.

Vorbestrafter Investor erhält Bauauftrag

Die Pläne für das Zentrum sehen 156 Plätze für den Ausreisegewahrsam vor. Das wäre eine vierfache Steigerung der aktuellen Kapazitäten der bisherigen „Ausreisegewahrsamseinrichtung“ am Flughafen. Hier soll binnen weniger Tage im Schnellverfahren das Recht auf Asyl der eingereisten Personen geprüft werden. Wenige Tage, die kaum Raum zum Widerspruch lassen, kritisierte Eric Hilbert von der Linksfraktion in Schönefeld. Das Schnellverfahren erschwere massiv die solidarische und rechtliche Unterstützung der Menschen. Anwaltlichen Beistand zu organisieren erfordere Zeit, die den Menschen nicht gewährt werde, so Hilbert.

Die Planung des Abschiebezentrums ist auch von Kritik an vergaberechtlichen Ungereimtheiten begleitet: Recherchen von „Frag den Staat“ legten offen, dass das Land Brandenburg den millionenschweren Bauauftrag an einen vorbestraften Investor vergab und eine öffentliche Ausschreibung aussparte. In der Begründung bezog sich das Land laut „Frag den Staat“ auf ein veraltetes Rechtsguthaben.

Nach Angaben des Brandenburger Innenministeriums sehen Bund und Land 315 Millionen Euro für die Miete der nächsten 25 Jahre vor. Finanzielle Zuwendung, die an anderer Stelle fehle, betont Dr. Martin Müller vom Bund deutscher Antifaschisten (VVN-BdA). Anstatt Geld für Gefängniseinrichtungen auszugeben, solle es in Integrationsmaßnahmen, Soziales und Kultur investiert werden.

Bereits in den letzten Jahren hatte es vielfältige Formen des Widerstands gegen das Abschiebezentrum am BER gegeben. Vor zwei Jahren schlugen hunderte Ak­ti­vis­t*in­nen aus Protest ihre Zelte vor den Toren des Flughafens auf. Mit der Zeit wäre die Aufmerksamkeit aber abgeflacht, erzählt Nina Langer vom Bündnis gegen das Abschiebezentrum. Mit der Demonstration am Sonntag wolle man nicht nur ein Berliner Protestpublikum erreichen, sondern besonders die Schönefelder Nachbarschaft für die Proteste mobilisieren. In den letzten Wochen hätten die Ak­ti­vis­t*in­nen viele Haustürgespräche geführt, um über die Pläne aufzuklären, erzählt Langer. Viele hätten noch gar nichts von den Plänen gewusst, die Zustimmungswerte für das Projekt seien gemischt.

2026 sollen die Bauarbeiten beginnen

Das spiegelt sich auch in der Gemeindevertretung wider: Ein klares Ergebnis für die Abstimmung am Mittwoch ist nach Einschätzungen der Ak­ti­vis­t*in­nen und Politiker noch nicht abzusehen, allerdings weise die Tendenz Richtung Zustimmung zu den Plänen. Etwa die Hälfte der 29 Stimmen kämen von AfD und CDU, so Eric Hilbert von der Linksfraktion in Schönefeld, wo das Abstimmungsverhalten klar sei. Argumente für das Projekt, wie etwa das Schaffen von mehr Parkplätzen auf der bisher brachliegenden Fläche oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze, reichten aber durch das gesamte Parteienspektrum.

Einmal durchgewunken, wäre das Bauvorhaben rechtsgültig. Schon im kommenden Jahr sollen dann die Bauarbeiten beginnen, dann braucht es zwei weitere Jahre, bis der Betrieb aufgenommen werden soll. Nach Sitzungsbeschluss könne man nur noch eine humanere Ausgestaltung des Zentrums beeinflussen, vermutet Eric Hilbert, „wobei ein Abschiebezentrum nie human sein kann“.

Deshalb soll es am Mittwoch mit Protesten weitergehen: Wenn im Rathaus die Gemeindevertretung tagt, wollen die Ak­ti­vis­t*in­nen mit einer Trauerperformance „die Menschenrechte zu Grabe tragen“.

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