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Abschiebe-Offensive in BrandenburgMehr Geflüchtete inhaftiert

Die Zahl der Schutzsuchenden in Ausreisegewahrsam am Flughafen BER hat sich verdoppelt. Der Zugang zu Rechtsberatung und -vertretung ist eingeschränkt.

396 Geflüchtete waren im ersten Halbjahr dieses Jahres in Ausreisegewahrsam am BER Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | Die Zahl der Geflüchteten, die im Ausreisegewahrsam am Flughafen BER in Brandenburg inhaftiert sind und abgeschoben werden sollen, hat sich binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Das teilte das Innenministerium am Donnerstag auf eine Anfrage der SPD-Landtagsabgeordneten Tina Fischer mit.

Demnach waren es im ersten Halbjahr dieses Jahres 396 Menschen, die in die Länder ausgeflogen werden sollen, aus denen sie geflohen sind oder in denen sie nach Erreichen der EU erstmals einen Asylantrag gestellt haben. Im ersten Halbjahr 2023 waren es noch 168 Menschen. Im zweiten Halbjahr schnellte die Zahl auf 231.

Zu den Gründen für den starken Anstieg äußerte sich das Innenministerium nicht. Der Flüchtlingsrat Berlin vermutet dahinter das Anfang des Jahres vom Bundesinnenministerium beschlossene Gesetz zur „Verbesserung der Rückführung“. Darin wurde unter anderem die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von 10 auf 28 Tage verlängert. Ende 2023 war zudem der Abschiebestopp für den Iran ausgelaufen und nicht verlängert worden.

Das Land Brandenburg nutze diese Möglichkeiten im vollen Umfang aus. „Seit letztem Jahr hat sich der politische Diskurs in Brandenburg stark verändert“, so Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat zur taz.

Keine Asylberatung am BER

Die Brandenburger Linken-Abgeordnete Andrea Johlige spricht von einem „Abschiebewettbewerb zwischen den Innenministern“. Der habe zu einem „Paradigmenwechsel“ in der Flüchtlingspolitik des Landes geführt – „weg von Integration, hin zu Abschiebung“. „Und das unter grüner Regierungsbeteiligung“, kritisiert Johlige. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Petra Budke, hatte im vergangenen Jahr noch erklärt, dass es eine Abschiebeinitiative mit den Grünen nicht geben werde. Die Zahlen sprechen nun eine andere Sprache.

Teil der Abschiebeoffensive Brandenburgs ist auch die zentrale Steuerung seit Mai. Seitdem entscheiden nicht mehr die Landkreise über Abschiebungen, sondern die Zentrale Ausländerbehörde (ZABH) in Eisenhüttenstadt. Die Kommunen müssen melden, wenn jemand vollziehbar ausreisepflichtig ist. Die ZABH prüft dann, ob die Voraussetzungen für eine Abschiebung vorliegen. „Ich halte das für einen großen Fehler“, sagt Johlige der taz. „Die Zentrale Ausländerbehörde kann nicht einschätzen, ob jemand gut integriert ist.“

In der Antwort des Innenministeriums heißt es zudem, dass die Beratung zu den Asylverfahren am BER derzeit vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst durchgeführt werde, der die Flüchtlinge auch sozial und seelsorgerisch betreue. Auf eine Anfrage der taz Mitte Juli teilte dieser allerdings mit, dass er die Asylverfahrensberatung Ende vergangenen Jahres eingestellt habe, weil die Zusammenarbeit mit den Behörden nicht funktioniere. Mittlerweile machten sie nur noch Abschiebebeobachtung.

Auch die Angabe des Innenministeriums, dass allen Menschen in der Unterkunft nach Ablehnung ihres Asylantrags eine Liste von Rechtsanwälten übergeben werde, ist umstritten. Laut Flüchtlingsrat Brandenburg wird diese nur auf Nachfrage ausgehändigt. Dabei ist der Zugang zu Juristen essenziell: Laut dem Rechtsanwalt Peter Fahlbusch waren bei den 1.700 Menschen in Abschiebungshaft, die er seit 2001 vertreten hat, etwa 50 Prozent der Haftentscheidungen rechtswidrig.

„Der Zugang zu Rechtsberatung und -vertretung wird in der „Ausreisesammelstelle“ am Flughafen BER schon lange systematisch behindert“, kritisiert der Flüchtlingsrat. „Unter den aktuellen Bedingungen kann von fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahren nicht die Rede sein.“

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