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Absage an Gruselgenuss

Der nächste Monat gehört den Serienmördern: Das Zeise-Kino erpart uns in seiner Reihe allerdings den wohlfeilen Psychologismus und Exotismus des Genres  ■ Von Jacob Hesler

Vor Serienkillern ist kein Entrinnen. Jedenfalls nicht im Kino. „Hannibal spaltet Hamburg“, titelt die Mopo, und die gebeutelten Lichtspielbetreiber bedanken sich bei Herrn Lecter für das beste Wochenende seit Jahren – zusammen mit Ladykiller Mel Gibson hat er zwei Drittel der Kinogänger beschäftigt.

Und zwei Drittel der Politiker, könnte man meinen. Eine große Koalition der Anständigen hatte schon entrüstet aufgeschrien, bevor Ridley Scotts schröckliche Fortsetzung der Saga vom sadistischen Superhirn überhaupt angelaufen war. Die Hysterie erinnert an den aufgebrachten Moralmob in Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder und zeigt die wahre Funktion des Grusels vor dem absolut Bösen: Er spaltet nicht, sondern eint – am Stammtisch gemeinsamer Werte.

Um so sympathischer, dass uns die Zeise-Reihe den wohlfeilen Exotismus des Genres erspart – samt seinem Rattenschwanz von ausgefallenen Tötungsarten und einfühlsamen Profilern. Stattdessen laufen drei mehr oder weniger komische Komödien und eine sehr ernsthafte filmische Fallstudie. Und Peter Bogdanovichs Targets (1968), der zwischen diesen Extremen einen eleganten Spagat hinlegt und zum Schluss popcornmampfendem Gruselgenuss eine drastische Absage erteilt.

Der greise Boris Karloff spielt in einer seiner letzten Rollen sich selbst: Ein launiger Horror-Star bricht mit Hollywood, weil der Schrecken der Wirklichkeit den des Kinos längst gegenstandslos gemacht hat. Was das heißt, zeigt ein zweiter Erzählstrang am jungen Waffennarr Bobby. Im Hort der bürgerlichen Familie hört ihm keiner zu, also schießt er sie nieder. Wortloser Amok. Nach beklemmend langem Vorlauf durchbricht Targets dann im Wortsinn die glatte Oberfläche der Projektionsfläche Kino. Bobby bohrt von hinten eine Schießscharte in die Leinwand des Autokinos, in dem Karloff heute Abend zum letzten Mal öffentlich auftreten soll. Während die Opfer des Film-Karloffs in Flammen aufgehen und die Publikumsbeschießung Panik auslöst, schlägt der reale Karloff mit dem Gehstock Bobby die Waffe aus der Hand. Doch wir sehen in Karloff wieder nur den Schauspieler. Herrliches Chaos der Realitätsebenen.

Andere machen es sich mit der Wirklichkeit leichter. Man schiebt sie ab in den Vorspann und beteuert, die folgenden Taten des X hätten tatsächlich stattgefunden. Ein vorsintflutliches Feigenblatt, zumal für Komödien. Dass es wirklich einen britischen Jungen gab, der sein Talent für Chemie auf dem Gebiet des rückstandsfreien Giftmords entfaltete, kann den blassschwarzen Humor von Das Handbuch des jungen Giftmischers (1996) auch nicht retten. John Waters treibt das im Nachspann von Serial Mom (1994) auf die satirische Spitze: Das reale Vorbild habe für die Story keinerlei Vergütung erhalten – Kathleen Turner für ihre angestrengte Mimik zwischen all-american Hausfrauenlächeln und Mordlust hoffentlich auch nicht.

Während sie in dieser läppischen Genre-Parodie vermeintliche Feinde der Familie mit Lammkeulen meuchelt, sorgt Chaplin in Monsieur Verdoux (1947) als giftmordender Heiratsschwindler fürs Auskommen von Frau und Kind in Zeiten der Wirtschaftskrise. Als gestelzter Verführer überzeugt er nicht recht, dafür um so mehr mit vereinzeltem Slapstick. Das vergebliche pazifistische Schlussplädoyer, das naive Streben nach Relevanz färben den Klassiker melancholisch ein.

Eine Art Klassiker ist auch Henry – Portrait of a Serial Killer (1986) geworden. Und das nicht nur wegen seiner Anlehnung an die Geständnisse des realen Henry Lee Lucas. Henry ist von bedrückender Ausweglosigkeit, von kalter Brutalität. Familiäre und sexuelle Gründe der Gewalt deutet er an, um sie sofort wieder dem Verständnis zu entziehen. Henry tötet: Er kann mit den Menschen nicht anders. Becky macht da eine scheinbare Ausnahme: kurze Hoffnung auf Heilung durch Liebe. Becky hat gehört, dass Henry seine Mutter erschlagen hat, sie fühlt sich ein und spricht es an. Er erzählt stockend: „Sie war eine Hure“, sie habe ihn gequält. Erleichtert hören wir die vertraute Erklärung. Und dann habe er sie erschossen. Auf Beckys Nachfrage: „Ach ja, erstochen.“ Henry weiß es nicht mehr genau, vielleicht hat er es auch gar nicht getan.

Trotz maskenbildnerischer Exzesse und trashiger Akustik-Effekte kommt kein anderer Film dem Phänomen „Serienmörder“ so nahe, ohne es geläufigen Deutungsmustern, schlichtem Voyeurismus oder humoriger Verharmlosung auszuliefern. Henry ist von Hannibal gleichweit entfernt wie vom parodistischen Abklatsch.

Serial Mom: So + Mo; Henry – Portrait of a Serial Killer: 11. + 12.3.; Handbuch des jungen Giftmischers: 18. + 19.3.; Targets – Bewegliche Ziele: 25. + 26.3.; Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris: 1. + 2.4., alle Filme 22.30 Uhr, Zeise

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