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Abrechnungsskandal in Großbritannien85 Prozent halten Politiker für Betrüger

Die Affäre über Zweitwohnsitz-Abrechnungen von Parlamentariern schadet der britischen Politik. Etablierte Parteien befürchten einen Aufschwung von Rechtsradikalen.

Rechnete drei Euro für eine Backform ab: Liberalen-Parteichef Nick Clegg. Bild: dpa

BERLIN taz | Keine der im britischen Parlament vertretenen Parteien bleibt vom laufenden Abrechnungsskandal verschont. Als letzte nahm sich der Daily Telegraph, der seit Freitag jeden Tag die Zweitwohnsitzabrechnungen aller Abgeordneten nacheinander veröffentlicht, am Mittwoch die als relativ sauber geltenden Liberaldemokraten vor. Demnach ließ sich der Abgeordnete Andrew George die Ratenzahlungen für den Kauf einer Wohnung für seine Tochter erstatten, und Parteichef Nick Clegg, als einer der schlimmsten Spesenritter enttarnt, rechnete umgerechnet drei Euro für eine Backform ab.

Zwar versuchen nun immer mehr Parlamentarier, sich durch öffentliche Ankündigungen einer Rückzahlung unberechtigter Spesen zu rehabilitieren, und die Führer der Liberaldemokraten sowie der oppositionellen Konservativen haben ihre Abgeordneten dazu sogar verdonnert. Aber dies kommt zu spät. In einer Umfrage der Times erklärten nun 86 Prozent der Befragten, alle Parteien seien gleich schlecht, und 85 Prozent halten die Parlamentarier für Betrüger. Einmütig warnen Kommentatoren, das Ansehen der britischen politischen Klasse sei irreparabel beschädigt.

Premierminister Gordon Brown glänzt in dieser Debatte durch Abwesenheit. In der wöchentlichen Fragestunde des Premierministers im Unterhaus schäumte der konservative Oppositionsführer David Cameron, Brown brauche wohl "eine unabhängige Kommission, um zu entscheiden, ob er morgens Tee oder Kaffee trinkt", und forderte ihn auf, "Führung" zu zeigen. Browns merkwürdige Antwort: Cameron spalte das Haus. Als ob es besser wäre, wenn die beschädigten Parlamentarier Geschlossenheit zeigten.

Die Konservativen liegen in den Meinungsumfragen derzeit weit vorne, mit über 40 Prozent gegenüber rund 25 Prozent für Labour. Aber wenige Wochen vor Kommunal- und Europawahlen am 4. Juni wächst die Sorge, die neuen Skandale könnten allen etablierten Parteien schaden. Nutznießer wären dann vor allem die extremen Rechten der offen rassistischen British National Party (BNP). Die BNP präsentiert sich in einstigen Labour-Hochburgen als die neue Arbeiterpartei und bekommt bei ihren Veranstaltungen enormen Zulauf, während alle etablierten Parteien sich kaum noch auf die Straße trauen. "Bestraft die Schweine!" steht auf BNP-Wahlkampfmaterial über Montagen von Schweineköpfen auf geldscheffelnden Politikern. So manche Labour-Wahlkämpfer ziehen Vergleiche zu dem Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik.

Jüngste Ergebnisse bei Nachwahlen zu Gemeinderäten geben tatsächlich Anlass zu Sorge: 12,5 Prozent für die BNP in einem Wahlkreis in Hartlepool, 14,2 Prozent in Sheffield, 20 Prozent in Newcastle, 21,6 Prozent in North Warwickshire, 23,6 Prozent in Leeds. Erstmals berieten am Montag Politiker von Labour, den Konservativen und den Liberaldemokraten in London über den gemeinsamen Umgang mit den Rechtsextremen.

Sollten die Wahlen im Juni, wie weithin erwartet wird, für Labour ein Desaster werden, dürfte Premierminister Brown unter erheblichen Druck geraten, vor den nächsten britischen Parlamentswahlen - die spätestens im Mai 2010 stattfinden müssen - zurückzutreten und den Weg für einen unbelasteten Nachfolger freizumachen. Dann sind vorgezogene Neuwahlen wahrscheinlich.

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6 Kommentare

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  • BW
    bernhard wagner

    Wie schon unten Ben Hur finde ich die Green Party auch etwas zu Unrecht über einen Kamm geschert mit den anderen. Sie sind zwar auch keine Engel, aber unterscheiden sich doch deutlich von den meisten anderen der beiden großen Parteien.

     

    Außerdem könnte ein Green New Deal, der v. a. neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Erneuerbare Energien anregt oder direkt schafft, Großbritannien weitgehend aus der Krise helfen. Beispielsweise sind Schottland und Nordirland weitgehend extrem effektive Windkraftstandorte. Und auf je 90 km² nur ein kleines 2 MW Geothermiekraftwerk zu bauen, würde 2,6 GW Leistung bedeuten, also 2 komplette Atomreaktoren ersezten. Außerdem könnten offshore Wellenkraftanlagen installiert werden, z. B. von SRI oder http://www.wavedragon.net . u.s.w.

     

    Das wäre wichtier als die populäre Politikerschelte, die letztlich im Vergleich zu den großen Übeln, nicht viel bringt, vgl. auch was Multimillionäre absahnen - letztlich auf Kosten der Allgemeinheit.

  • ID
    Irgen Dwer

    Es geht doch garnicht darum, ob links-rechts-mittendrin-rot-gelb-grün oder multikulticolor. Unsere volksver(dreher)treter sehen ihre handlungsweise als rechtens und bemerken nicht mal mehr, wie abnormal sie sich in diesen unseren gesellschaften bewegen. Das trifft leider auf die gesamte europäische führungsrige zu. Das sogenannte dritte reich hat gezeigt, wohin solche gewissenlosigkeit führt! Und wir sind auf den besten weg dahin....

  • L
    Leser

    Na ja, 3 Euro für ne Backform... ginge es jetzt um eine Kassiererin, würde sie dafür zum Superstar.

     

    Es ist toll, dass Politiker so durchleuchtet werden. Der Rest der Welt darf dafür das Finanzamt bescheißen.

     

    Oder wie oder was?

  • WW
    Walter Wasilewski

    Britanien-die Demokratie in der auch Wahrheiten veröffentlicht werden.

    Politiker haben eines gemeinsam-die Frage:Was muß ich tun um zum Schluß der Legislaturperiode den mir zustehen Posten zu bekommen?

    (Natürlich besimmt der Politiker was ihm zusteht)

    Die leeren Plenarsäle beweisen, wie eifrig man mit dieser Aufgabe beschäftigt ist.

    Walter Wasilewski

  • S
    Steuerzahler

    Eigentlich irre: Mann brauch eine auf dubiosen Wege entstandene CD um nachzuvollziehen wofür wir Steuerzahler so alles Geld ausgeben.

     

    Das das nicht über eine Homepage genaustens einzusehen ist ist der Hammer und "gefühlt" mein Recht.

     

    Abgeordnete... die wissen schon warum die Onlinedurchsuchungen bei dennen nicht so einfach geht(gehen soll).

     

    Beste Grüße allerdings an dieser Stelle an alle Politiker aller Parteien mit Macht die dies lesen und ehrlich sind

    Bastian

  • B
    BENHUR

    Warum wählen viele aus diesem Anlass dann "rechtsradikal" und nicht etwa die Greenparty?

     

    Weil solche Affären für viele nur eine Gelgenheit sind, dann endlich ihre wahren Gesinnungen preiszugeben, die viel "rechter" sind, als sie sonst offen zugeben. Das UK ist von nationalistischen Denkweisen die noch aus vergangenen Jh.n stammen durch und durch vergiftet, und zwar z. B. auch deshalb, weil sie nach den Weltkriegen keinen Anlass sahen, sie infrage zu stellen und aufzuarbeiten, denn die anderen waren ja die Bösen und sie selber die Guten. Daher ist paradoxerweise vielleicht heute das UK nationalistischer und rassistischer als die BRD.