Abnehmen schwer gemacht: Ich bin ein Berg

Wenn der Diät-Coach zweimal mailt und die Kilos immer noch drauf sind. Ein Bekenntnis zum Scheitern. Und das schon zu Beginn des Jahres.

Was kann man da schon machen? Das Schicksal annehmen. Bild: dpa

Post vom Online-Diätcoach. Betreff: Erinnern Sie sich an Ihr Ziel? "Liebe Frau Reich", schreibt er, "wir möchten Sie noch einmal in Ihrem Entschluss bestärken, Ihr Ernährungsverhalten zu ändern." Im Klartext: Hallo! Wozu machen wir das alles hier eigentlich, wenn du nicht mitarbeitest? Wo bleiben deine Diät-Ergebnisse?

Seit zwei Monaten kommuniziert dieser elektronische Lebensberater mit mir. Einseitig, wohlgemerkt. Er befleißigt sich dabei eines händchenhaltenden Sprachstils, den ich mir sonst verbitten würde. Der Coach schreibt mir Motivationsbriefchen, in denen er Fresssünden Übergangstage nennt, er erfindet tröstliche Wörter wie Zwischenziel, Leckerei und Wunschgewicht. Im Gegenzug soll ich auf meinem Diät-Account genau auflisten, was ich esse, wann ich es tue und wie ich mir die überschüssige Energiezufuhr wieder abtrainiere.

Aber verdammt, ich habe nicht mitgemacht. Hatten wir nicht gerade Weihnachtsfeiern, Umtrunke, Feiertage? Zu keiner Zeit des zurückliegenden Jahres habe ich derart viele gute Sachen kredenzt bekommen - wäre doch blöd gewesen, mich beim Diätcoach selbst anzuzeigen. Das Wissen um die Biogans und die Plätzchen, den Rotwein und das Raclette habe ich deshalb für mich behalten und seine wirklich lieb gemeinten Mails gelöscht. Und nun ist es zu spät. Der Diätcoach ist ein bisschen sauer und ich zwei weitere Kilo schwerer statt leichter.

Was macht mich so schwach? Wie kommt es, dass aus den guten Vorsätzen 2009 wieder mal nichts geworden ist? Und wieso, verdammt, funkt mir mein Unterbewusstsein schon jetzt, dass es auch im Jahr 2010 nichts werden wird mit den sieben Kilo, die ich mindestens abzunehmen gedenke? Mindestens! Vielleicht ist dieser Jahreskreislauf vergleichbar mit den Sterbephasen nach Kübler-Ross. Die weltberühmte Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat Anfang der Siebzigerjahre den Umgang des Menschen mit dem Wissen um sein eigenes Sterben in fünf Phasen eingeteilt: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression und Zustimmung.

Auch ich bekomme zwei, drei Mal pro Jahr eine miserable Diagnose, allerdings in Sachen Körpergewicht. Mal in der H&M-Umkleide, mal von einer Levis-Verkäuferin, die mich im Kaufhaus mit weit ausgestrecktem Arm in die Mutti-Abteilung "mit den fraulichen Größen" schickt. Zuletzt im Oktober, als mich meine Chorleiterin beiseitenahm, um diskret zu fragen, ob sie mir denn jetzt, mit über vierzig, noch mal zu einem Baby gratulieren dürfe. Ich lachte rau, stotterte was von unvorteilhafter Kleidung und reihte mich hochroten Kopfes im Sopran ein.

In den nächsten Tagen war ich sehr wütend auf mich. Herrgott, wie hatte das geschehen können, diese Maßlosigkeit beim Essen, der viele Weißwein, das blöde Autofahren. Wann war ich eigentlich das letzte Mal beim Sport? Ich aß sieben Tage so gut wie nichts, dann fand ich mich nachts im Licht des Kühlschranks wieder. Klarer Fall: ich war reif für den Diätcoach. Um ihn und mich gnädig zu stimmen und um für uns beide die Gesamtsituation angenehmer zu gestalten, machte ich gleich noch einen Vertrag in einem der angesagtesten Yogastudios der Stadt und las alles, was mir zum Thema Diät vor die Flinte lief. Ich studierte hochinteressante Artikel, erwog den Kauf eines Hometrainers und las aufmerksam die Kuschelbriefe meines digitalen Beraters. Sehr bald wollte ich beginnen, fettarme Salate zuzubereiten.

Dann hatte ich Geburtstag. Dann fuhr ich nach Spanien in den Tapas-Urlaub. Und dann war im Grunde schon so gut wie Weihnachten. Na ja.

Am Weihnachtsabend zwängte ich mich in mein gutes Kleid, zwang den Reißverschluss, sich zu schließen, und drapierte einen gnädigen Schal um die Problemzone. Ich versuchte mich schlecht zu fühlen, als die Gans auf den Tisch kam. Aber sie sah sehr gut aus und schmeckte auch so, ebenso wie die Klöße, das Rotkraut und der französische Schokoladenkuchen zum Dessert. Was konnte ich schon machen? Ich nahm mein Schicksal an.

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