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Abgeordnetenhauswahl 2026Basis soll wirklich Boss sein

Ein Realo-Antrag zum anstehenden Parteitag der Grünen fordert, die Spitzenkandidatur für die Wahl 2026 erstmals per Mitgliederbefragung zu klären.

Bislang entschied sich bei Parteitagen, wer Spitzenkandidatin wird. Die Grünen in Mitte drängen nun auf eine Mitgliederbefragung Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | „Basis ist Boss“ ist ein bei den Berliner Grünen immer wieder gehörter Slogan. Geht es nach Vertretern des Realo-Flügels, soll der auch bei der Wahl des Spitzenpersonals für die Abgeordnetenhauswahl 2026 gelten. „Der Nominierung einer Person als Spit­zen­kan­di­da­t*in soll eine Mitgliederbefragung vorausgehen“, fordert ein Antrag des Kreisverbands Mitte für den Landesparteitag am Samstag. Treibende Kraft in diesem Kreisverband ist die Gruppierung Grüne Realos Mitte, kurz „Gr@m“, die manche als Ultrarealos bezeichnen. Der Landesvorstand ist von dem Vorstoß offenbar nicht begeistert.

Der Parteitag in einem Moabiter Hotel beschäftigt sich zwar noch nicht im Schwerpunkt mit der Berlin-Wahl in mutmaßlich weniger als 22 Monaten. Auch die Listenaufstellung für die nahende Bundestagswahl am 23. Februar ist erst bei einem weiteren Parteitreffen im Dezember vorgesehen. Doch der Landesvorstand hat für Samstag ein Papier vorgelegt, das den Prozess hin zur Abgeordnetenhauswahl beschreibt. Darin heißt es, man wolle „im Herbst 2025 darüber entscheiden, in welcher Formation und mit welchem Spitzenpersonal wir in die nächste Wahl gehen“. Genau an dieser Stelle fordert der Änderungsantrag aus Mitte den Zusatz, vorweg die Mitglieder zu befragen.

2021 nominierten die Berliner Grünen ihre damalige Spitzenkandidatin Bettina Jarasch bei einem Landesparteitag. Der hat 149 Delegierte, die Partei ist inzwischen auf rund 14.000 Mitglieder gewachsen. Zum Beschluss über Kandidatenlisten wie auch zur nahenden Bundestagswahl lädt der Landesvorstand zwar üblicherweise zu einer Mitgliederversammlung. Doch daran nimmt nur ein Bruchteil der Mitglieder teil.

Selbst als es 2017 in einem viel beachteten Duell um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl ging – Jarasch unterlag dabei der heutigen Bundesfamilienministerin Lisa Paus – war die Mitgliederversammlung zwar so gut wie nie zuvor besucht. Die 1.100 Teilnehmer waren aber dennoch noch nicht einmal ein Fünftel der damals schon über 6.000 Mitglieder des Landesverbands.

Unter den Delegierten dominiert der linke Flügel

Der Vorstoß aus dem Kreisverband Mitte will das ändern und die Mitglieder schriftlich direkt entscheiden lassen. Eine Begründung ist dem Antragstext nicht beigefügt. Die Parteispitze um die Landesvorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai soll sich zu dem Vorstoß bei einem Antragstellertreffen am Montag ablehnend geäußert haben, hieß es aus dem Teilnehmerkreis gegenüber der taz. Sie hätten unter anderem auf die Kosten einer Mitgliederbefragung verwiesen.

Mutmaßliches Ziel des Antrags ist es, über den Weg einer Befragung die deutliche Mehrheit des linken Flügels unter den Parteitagsdelegierten zu umgehen. So ließe sich auch eine dort nicht genehme, weil als zu bürgerliche geltende Person für die Spitzenkandidatur durchsetzen. Das speist sich aus der Hoffnung darauf, dass die Mehrheit unter den inzwischen fast 14.000 Mitgliedern weniger links orientiert ist.

Wirkliche Klarheit über die Zusammensetzung der Mitgliedschaft gibt es allerdings nicht. Das gilt auch für andere Parteien: Bei der Berliner SPD setzte sich im Mai bei einer Befragung ein Duo vom rechten Parteiflügel für den Landesvorsitz durch, Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini. Das passierte sogar deutlich mit 58 Prozent und kam überraschend: Unter den Delegierten des Landesparteitags und im Landesvorstand ist – wie bei den Grünen – der linke Parteiflügel in der Mehrheit.

An der Mitgliederbefragung der SPD beteiligten sich im ersten Wahlgang 47,6 Prozent, im zweiten 52,5 Prozent der Mitglieder – also fast dreimal so viele wie bei der erwähnten Grünen-Mitgliederversammlung mit Rekordbeteiligung. Die Befragung der SPD-Mitgliedschaft war zwar kein offizieller Entscheid und hatte keinen bindenden Charakter. Der darauffolgende Landesparteitag aber mochte sich nicht gegen das Basisvotum stellen – und bestätigte es.

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