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Abgang der Markerschütternden

■ Gestern auf der Breminale: Der vorerst letzte Auftritt von Party Diktator

Freitag abend verhallte auf der Flut-Bühne der Breminale der vorerst letzte Akkord der Band, die von Bremen aus ein Stück Musikgeschichte geschrieben hat. Einmal noch haben Party Diktator in die Saiten gegriffen, um der Noiserock- und Hardcore-Konkurrenz zu zeigen, wie zeitgemäß brachiale Gitarrenmusik klingen kann.

Das musikalische Feld, auf dem es die Diktatoren zu internationaler Größe brachten, wurde zwar von anderen bestellt. Amerikanische Bands wie die Cows oder Surgery hatten schon Mitte der 80er auf den Trümmern alter Stooges-Schallplatten wütende Klangorgien veranstaltet. Die Suche nach neuen, vorzugsweise markerschütternd krummen Harmonien wurden durch völlig überlastete Verstärker wütend in die Konzerthallen geblasen und von Tom Hazelmeyers Amphetamine Reptile-Label für die Nachwelt auf Vinyl gebrannt.

Mit dieser Entwicklung im Rücken begannen Nick Neumann, Matthias Welshoff und Ole Wulfers und Popel im November 1989 aber vom Wehrschloß aus ebenfalls damit, den alten Rock'n'Roll bis auf das Skelett zu sezieren. „I am a diplomatic go-between between the livin' and the dead“, sang Nick vor einem Jahr auf dem letzten Party-Diktator-Album „Dive Bomb“– eine Zeile, die das Zwitterdasein der Band zwischen Melodie und Gewalt gut beschreibt. Gitarrenriffs bestanden nicht nur aus Ackorden oder Einzelnoten – ein kreischendes Rauf- und Runterfahren am Griffbrett oder ein gekonntes Fetzchen Feedback gehörten ebenso gleichberechtigt in die Komposition. Gespielt wurde auf der ganzen Gitarre – nicht bloß auf den Saiten. Der Bass trug oft das harmonische Korsett, während sich die Sechssaitige jenseits aller Tonfolgen in der Welt der Störgeräusche austobte.

So rhythmisch kompakt wie die Bremer ging niemand in der Branche zu Werke. Schon auf der ersten 1990 erschienenen Single hatten Nick und Co. einen vom Hip Hop entlehnten Grundbeat unter die Gitarrenorgie gelegt – eine wuchtige Tanzbarkeit, die der Band Mitte der 90er das völlig unpassende Label „moshbarer Hardcore“eintrug.

Zunächst aber sprengten Party Diktator mit ihrem Debütalbum „Worldwide“alle bis dahin gekannten Noise-Conventions. Für die Lärmfraktion waren die Diktatoren rythmisch zu konzentriert und allen anderen brannten die fiesen Diktatoren-Töne ohnehin in den Ohren. Doch nicht nur jeder Beat saß genau: Auch die Disharmonien wurden so geschickt ausgetüftelt, daß in der aggressiven Soundflut eine kaum greifbare Schönheit entstand, die aber mit dem Kopf nicht mehr zu erfassen war. Der beim Konzert freudig mitknurrende Darm und das Gefühl der Erleichterung, wenn die Klangmühle vorbei war, deuteten aber an, daß hier Großes passierte.

Lärmplatten-könig Tom Hazelmeyer klopfte persönlich im Wehrschloß an, um das Diktatoren-Geballer wenigstens per Single den Amerikanern nahebringen zu dürfen. Die Diktatoren reisten und rockten durch Europa, bis die Luft raus war und der Schlagwerker Popel das Handtuch warf. Mit Jens Ehlers fanden die Bremer einen Ersatzmann, der ähnlich pregnante Akzente setzen konnte. Das zweitletzte Party-Diktatoren-Album „Dive Bomb“, daß die Metal-Plattenfirma Roadrunner international veröffentlichte, erschien aber wegen des Wechsels erst im letzten Jahr.

Hier entfachten die Bremer ein in dieser Perfektion noch nie dagewesenes Soundgewitter: Das groovende „Hitman“, Dutzend weitere Perlen für lärmgestählte Ohren füllt ein Album, bei dem die Band in Sachen Songgeschwindigkeit noch einen Zahn zugelegt hatten. Mehr als sieben Jahre lang hatte keine andere Band in Bremen, ja in ganz Deutschland, eine derartige Intensität, Vielfalt und Raffinesse erreicht. Neue Bremer Bands wie Splitter aber belegen, daß die Saat aufgegangen ist: Auch wenn die Diktatoren nicht mehr sind, wird ihr markerschütterdes Schaffen unseren Ohren erhalten bleiben.

Lars Reppesgaard

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