KOMMENTAR: Abfuhr für den Westen
■ Große Koalition muß sich im Osten legitimieren
Berlin, die Nahtstelle zwischen Ost und West, Berlin, der Ort, an dem das Zusammenwachsen zweier Gesellschaftssysteme sich wie in einem Schmelztiegel vollzieht. Die Metaphern, häufig genug von Berlins Spitzenpolitikern bemüht, wurden von der Realität korrigiert. Die Legierung der beiden Stadthälften hält nicht, ja, sie entpuppt sich nunmehr als eine Assimilierung des Ostens, gegen die sich die dortige Bevölkerung mit ihrem Wahlgang gewehrt hat. Die Berliner Politik wird künftig wieder stärker von zwei Stadthälften auszugehen haben, deren Interessen zum Teil auch gegeneinanderstehen.
Verlierer der Wahl ist im doppelten Sinne Eberhard Diepgen. Er nahm seinen Amtssitz frühzeitig im Osten Berlins, seinen politischen Bezugsrahmen hat er damit jedoch nicht gewechselt. Sein Name steht für eine originär Westberliner Politik. Die CDU hat mit ihrem Wahlergebnis im Osten die Quittung dafür erhalten. Eine Umorientierung ist angesagt, der personelle Austausch an der Spitze, über den jetzt laut nachgedacht wird, wäre allerdings eine Konsequenz nach Westberliner Politikmuster.
Mit dem Wahlergebnis ist die SPD zur tragenden Säule der Koalition geworden. Leichter wird dadurch das Regieren allerdings nicht. Der SPD gereicht zum Vorteil, daß sie in Ost und West gleichermaßen stärkste Partei sind. Diese rechnerische Ausgewogenheit hat allerdings in der sozialdemokratischen Politik bislang nicht seine Entsprechung gefunden.
Gescheitert ist mit dem Wahlergebnis auch der Versuch der »Volksparteien«, pauschal gegen »die Radikalen« zu Felde zu ziehen, in der Erwartung, daß diese Typisierung bereits eine abschreckende Wirkung entfaltet. Die PDS lediglich als postdeutschdemokratisches Auslaufmodell zu betrachten, greift zu kurz. Sie ist die einzige originäre Ostdeutsche Partei und schafft es geschickt, Politikmuster, die von den Grünen entwickelt wurden, auf die Verhältnisse und Problemlagen des Ostens zu übertragen.
Die rechtsradikalen »Republikaner« werden zukünftig zum Alltag des politischen Geschäftes gehören. Darin haben sie sich schon einmal nicht bewährt, man kann dem zweiten Anlauf also gelassen entgegensehen. Ihre Position eher stärken als schwächen würden jedoch Versuche, sie durch Ausnutzung der politischen Geschäftsordnung aufs Abstellgleis zu schieben. Das gleiche gilt für das Vorhaben der CDU, im Schulterschluß mit der SPD die Bürgermeisterposten zu besetzen, um damit die PDS, aus dem Rennen zu werfen. Solch ein Vorgehen verstärkt den wählerermüdenden Eindruck, daß die beiden Regierungsparteien mal wieder im closed shop ihre Pfründe sichern. Dieter Rulff
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