: Aber dennoch hat sich Bolle...
■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (15): Mit der Sophie-Charlotten-Straße wird eine Wohnstraße zum Zubringer gemacht, auf dem es 1992 drei Schwerverletzte gab
Geradezu beschaulich wirkt die Sophie-Charlotten-Straße, in die genervte Fußgänger vom Kaiserdamm nur zu gerne abbiegen. Wer die Tour vom Ernst-Reuter-Platz entlang der achtspurigen Rennstrecke über Bismarckstraße und deren Verlängerung ungeachtet der katastrophalen Unfallzahlen schadlos überstanden hat, mag in dem Charlottenburger Seitensträßchen auf ein wenig Stille hoffen. Doch weit gefehlt:
Das Billard-Café am Anfang der Straße heißt wie das, was die Vorüberziehenden auf den nächsten hundert Metern erwartet: „Chaos“. Denn auch Autofahrer werden vom Kaiserdamm in das Wohngebiet geleitet, um so zur Autobahn zu gelangen, so die Ausschilderung. Doch im Gegensatz zur Ost-West-Magistralen und der innerstädtischen Tiefflugschneise A 10 steht in der Sophie-Charlotten-Straße nur eine Fahrspur pro Richtung zur Verfügung. Stau und der mit ihm einhergehende Ärger sind programmiert.
Gerade wenn ein Kleinlaster warnblinkend am Straßenrand steht, um eines der Geschäfte zu beliefern, wird es eng. Dann wird gehupt und geflucht, als löse sich das Auto dadurch in Luft auf. Bei der kleinsten Lücke im Gegenverkehr stoßen die Wartenden ruppig in diese vor, nicht ohne dem Lieferanten noch einmal sämtliche Seuchen dieser Welt an den Hals zu wünschen. Die Fahrweise ist höchst aggressiv in der schmalen Straße, insbesondere bis zur Knobelsdorffstraße, wo die meisten Autos links zur Autobahnauffahrt abbiegen.
Das traurige Resultat dieser Verkehrslage: „1992 wurden in der Sophie-Charlotten-Straße elf Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt“, berichtet Rolf Hirschmann vom Statistischen Landesamt Berlin, „drei von ihnen wurden schwer verletzt.“ Um tragische Ausnahmen kann es sich nicht gehandelt haben; auch die Gutachter, die noch vom rot-grünen Senat mit einer Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr beauftragt wurden, kommen zu katastrophalen Ergebnissen:
Über 4,5 Millionen Mark volkswirtschaftliche Kosten pro Jahr haben die Experten für einen hypothetischen Kilometer Sophie- Charlotten-Straße errechnet. Teurer sind pro Basiskilometer nur der Hermannplatz mit 6,5 Millionen, die Zossener Straße mit fast 5 Millionen und die Frankfurter Allee mit über 4,7 Millionen Mark. Real hat die Gesellschaft für die Folge von Unfällen in dem nur 292 Meter kurzen Sträßchen demnach rund 1,5 Millionen Mark aufzubringen, so die Autoren der Forschungsgruppe Stadt und Verkehr und der Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung.
Daß die Lärmbelästigung für die Anwohner, gerade im Stück zwischen Kaiserdamm und Knobelsdorffstraße, enorm ist, ist so deutlich in der Studie zu erkennen wie wenig verwunderlich. Doch weder der Krach noch das tägliche Chaos oder gar die Unfallzahlen halten die Lebensmittelkette „Bolle“ dort davon ab, großflächig an ihre Hauswand zu schreiben: „...so läßt sich's leben“. Die Sophie- Charlotten-Straße kann damit eigentlich nicht gemeint sein. Christian Arns
In der nächsten Folge raten wir von der Skalitzer Straße ab.
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