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„Aber Spaß hats gemacht“

„Nein, zu Frust haben wir wirklich keinen Anlaß.“ Das Thema Volkszählung kann Roland Appel, einer der prominenteren Vobo–Aktivisten aus Bonn, zwar schon seit einiger Zeit nicht mehr hören. Doch wenn er nach über einem Jahr eine Bilanz der Boykott– Bewegung ziehen soll, gerät er leicht ins Schwärmen. „Wir haben zwar die Volkszählung nicht verhindern können, und vielleicht war es ein Fehler, daß wir das nicht frühzeitiger klargemacht haben. Aber der Widerstand hat auf ungeheuer breiter Ebene Lernprozesse ausgelöst. Im Grunde war es eine Bewegung, die Zivilcourage gelehrt hat, die gezeigt hat, wie Politik gemacht wird, und wie man sie selber machen kann. Was dadurch im politischen Klima bewirkt worden ist, geht weit über die Volkszählung hinaus.“ Die Volkszählung als Lehrstück in Sachen Politik, als Ausdruck eines bisher nie so breit dokumentierten Unbehagens an staatlichen Maßnahmen, und als respektlose Herausforderung der Obrigkeit - das sind die eigentlichen Erfolge der Vobo–Bewegung. Dieses Ergebnis läßt sich nicht mit der Zahlenhuberei um die letztendlich doch abgegebenen Fragebögen schmälern. Die Boykottbewegung - das waren nicht nur über 1.000 aktive Gruppen, ungezählte, phantasievolle Protestaktionen und mittelgebirgshohe Flugblattstapel. Das waren darüber hinaus Zigtausende von Menschen, die darüber nachdachten, wie den Volkszählern die Suppe versalzen werden könnte. Viele lernten zum ersten Mal, ein Flugblatt zu entwerfen, andere formulierten ihren ersten gerichtlichen Widerspruch, und etliche machten ganz bewußt Bekanntschaft mit Richtern und Gerichtsvollziehern. Zahlreichen Bundesbürgern wurde deutlich, welches Machtmittel der Staat mit seinen Daten gewinnt, und wie lächerlich er sich zugleich mit Obrigkeitsgesten wie der Volkszählung macht. Selten hatte es bisher auf den Postämtern so viel zu lachen gegeben, wenn dort die Gemeinde der Boykotteure Schlange stand, um die berühmten blau–grünen, per Einschreiben zugeschickten Briefbögen abzuholen. Und selten auch waren sich die Bediensteten des Öffentlichen Dienstes so einig, daß sie alle an einer schrecklichen Krankheit litten, die sie vom Zählerdienst befreite. „Uns hat das eine Menge an Erfahrung gebracht“, berichtet Martina von der Saarbrücker Vobo–Initiative. Ein wenig enttäuscht sei sie aber schon, wie schnell die Leute in ihrer Umgebung bei der ersten Zwangsgeldandrohung „umgefallen“ seien. Martinas Initiative ist eine der rund 100 Vobo–Gruppen, die auch nach Abschluß der Zählung weiterarbeiten wollen und sich mit den Themen Erfassungsstaat und Sicherheitsgesetze beschäftigen werden. Das Gros der Initiativen hat jedoch inzwischen seine Arbeit eingestellt, und unter der Telefonnummer des Bonner Koordinationsbüros heißt es seit geraumer Zeit „kein Anschluß unter dieser Nummer“. Am 14./15. Mai wollen die Vobos noch einmal zu einem Abschlußtreffen in Mainz zusammenkommen, um Bilanz zu ziehen und eine mögliche Weiterarbeit zu koordinieren. „Wir hätten die Diskussion um den weichen Boykott nicht so ausgrenzen dürfen“, meint Christoph Busch von der Münsteraner Initiative zu der Frage, wo eventuell Fehler gemacht wurden. Andere bemängeln, daß die Vobo–Gruppen es nicht geschafft hätten, sich gegen die zunehmende Verrechtlichung des Problems zur Wehr zu setzen, und daß die politische Bewegung im Laufe der Monate immer stärker zu einer Rechtsberatung für Boykottwillige geworden sei. Daß die Protestform des zivilen Ungehorsams angesichts hoher Strafandrohungen an die Grenzen gestoßen sei, bilanziert auch Roland Appel. Und am Ende hätte sich die dezentrale Organisation der Vobo–Inis, die zwar politischen Linienstreit erspart und Phantasie freigesetzt habe, doch als Handicap erwiesen. Dadurch sei die Boykottbewegung zu keinem gemeinsamen Schlußakkord in der Lage gewesen. „Aber“, meint die Berliner Vobo–Aktivistin Lena Schraut, „Spaß gemacht hats, oder etwa nicht?“

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