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Abbau Ost folgt dem Abbau West

Die Neuordnung der Unis nach der Vereinigung ist noch nicht beendet. Der Rotstift regiert  ■ Von Ralph Bollmann

„Warum ich an die Humboldt- Universität will“: Unter dieser Überschrift begründete der FU- Historiker Arnulf Baring im Mai 1991 seine vergebliche Bewerbung um eine Professur im Osten Berlins. Eineinhalb Jahre nach dem Fall der Mauer war es der erste Versuch eines Vertreters der Freien Universität (FU), das Verhältnis zu der Hochschule ernsthaft zu klären, aus der die Gründerväter und -mütter der FU 1948 ausgezogen waren. Johann W. Gerlach dagegen, seit 1990 Präsident der FU, machte es sich einfach. An der Linden-Uni sei nichts „außer dem Namen und den Gebäuden“. Daß auch auf dem idyllischen Campus in Dahlem nicht alles beim alten bleiben könne, mochte Gerlach nicht sehen.

Auch das Interesse der Öffentlichkeit konzentrierte sich auf die Humboldt-Universität zu Berlin (HUB). Im April 1990 verkündete der Theologe Heinrich Fink als frischgebackener Rektor sein Programm einer eigenständigen Reform. Doch am 3. Oktober übernahm die Westberliner Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller (SPD) die Uni beinahe unverändert. Ende November, einen Tag nach Eintreffen des positiven Gauck-Bescheids, kündigte sie Fink fristlos. Der Übergangsrektor wurde alsbald zur Gallionsfigur authentischer Ost-Befindlichkeit.

Der Schwabe Manfred Erhardt (CDU) machte sich als neuer Wissenschaftssenator zum Anwalt einer selbständigen HUB, zugleich aber einer durchgreifenden Erneuerung. Sein Wort von der „Elite-Universität“ sorgte an HUB und FU gleichermaßen für Unruhe. Im Sommer kürten die Humboldtianer die AL-Abgeordnete Marlis Dürkop zur Präsidentin.

Ein Jahr später schien das Schlimmste ausgestanden, Fink und die alte Uni-Leitung wurden feierlich verabschiedet. Der Hochschulreformer Michael Daxner, Uni-Präsident in Oldenburg und an der Humboldt-Erneuerung maßgeblich beteiligt, hielt unter dem Titel „Alma mater restituta“ eine pathetische Rede.

Aber das böse Erwachen ließ nicht lange auf sich warten. Die Große Koalition hatte sich vorgenommen, die Zahl der Studienplätze in Berlin um 15.000 auf nur noch 100.000 zu verringern und dadurch 133 Millionen Mark einzusparen. Im August 1993 legte Senator Erhardt einen Hochschulstrukturplan vor, der den Abbau auf FU (10.000), Technische Universität (TU, 4.500) und Hochschule der Künste (HdK, 500) verteilte. Um die Kürzungen auch umsetzen zu können, sollte der Senator in die Hochschulautonomie eingreifen können. Außerdem wollte Erhardt von den vielgeschmähten „LangzeitstudentenInnen“ Studiengebühren eintreiben. Die Proteste der Studierenden führten zu einem Teilerfolg: Die SPD stimmte Erhardts Ermächtigung nicht zu, die Studiengebühren wurden durch die „Zwangsberatung“ ersetzt.

Im März 1994 beschloß der Senat, den Wissenschaftsetat um weitere 135 Millionen Mark zu kürzen. Damit war klar, daß auch der Aufbau der HUB von den Einsparungen nicht verschont bleiben könne. Die neuberufene ProfessorInnen- Prominenz zeigte sich in ihren Erwartungen enttäuscht. Zeitgleich machte die „Kündigungsaffäre“ Schlagzeilen. Die Uni hatte einige Mitarbeitern nicht rechtzeitig zu den einigungsbedingten Sonderregelungen entlassen, weshalb sich die Kündigungsfristen geringfügig verlängerten. Dies brachte die Uni in ein Stimmungstief, aus dem sie nur mühsam auftauchen konnte.

„Pauschale Minderausgabe“ wurde im folgende Jahr das meistbenutzte Wort bei Berliner HochschulpolitikerInnen. Das öffentliche Interesse verhielt sich umgekehrt proportional zur Zahl der Spekulationen, wo und wieviel einzusparen sei. Allein die ArchitektInnen der HdK entschlossen sich zu energischem Protest und konnten so die Abwicklung ihres Fachbereichs verhindern. Nach endlosen Debatten kam es schließlich zu einem Kompromiß. Die 135 Millionen müssen erst zum Jahr 2003 gespart werden, 95 Millionen werden auf die Klinika abgewälzt.

Neues Unheil droht freilich nach den Wahlen, wenn der neue Senat erst richtig ans Sparen geht. Auch die Fusion mit Brandenburg wird die Debatte um „Mehrfachangebote“ wachhalten. Obwohl Wissenschaftsminister Steffen Reiche (SPD) die Pläne seines FDP-Vorgängers Hinrich Enderlein schon abgespeckt hat, ist selbst die neue Zahl von 34.500 Brandenburger Studienplätzen erst zu einem Drittel ausgelastet. In Berlin dagegen drängeln sich 148.000 Studierende auf knapp 100.000 ausfinanzierten Studienplätzen. „Es hat wenig Sinn, wenn wir zugunsten Brandenburgs abbauen“, meint zwar Senator Erhardt. Ob sich diese Linie in den Verhandlungen mit Brandenburg durchhalten läßt, erscheint allerdings fraglich.

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