■ Ab heute ist die Abtreibungspille RU 486 in neun europäischen Ländern zugelassen, nach langen Auseinandersetzungen und kirchlichen Protesten auch in Deutschland. Frauen haben bei einer frühzeitigen Entscheidung jetzt eine Alternative zur operativen Abtreibung: Die Wahl ist da. Sie ist nicht leicht
„Ein Skandal bahnt sich an!“ hieß es kurz nach der Bundestagswahl aus dem Erzbischöflichen Ordinariat in Köln. Kardinal Meisner sah die „Todespille“ den Rhein hinab direkt vors Portal des Kölner Doms treiben. Er hat seine prophetischen Gaben nicht überfordert, die Pille kommt, und für den Skandal sorgt die katholische Kirche höchstselbst.
Wie schon vor der Bundestagswahl für eine rot-grüne Regierung angekündigt, sah die Politik dem Antrag des französischen Herstellers auf Zulassung der Abtreibungspille RU 486 gelassen entgegen. Vor zwei Wochen wurde das Arzneimittelgesetz geändert, das Präparat Mifegyne darf nur direkt an die abtreibungsberechtigten Ärzte und Kliniken ausgeliefert werden. Der Vertriebsweg jeder einzelnen Packung muß schriftlich nachgewiesen werden. Die kurze Reise über den Rhein, die wohl im Herbst beginnen wird, hat einen langen Vorlauf.
1982 entdeckte der französische Biochemiker Etienne-Emile Baulieu ein Molekül, das das Schwangerschaftshormon Progesteron hemmt. Seine Firma, Roussel Uclaf, sah in dem Medikament vor allem eine Möglichkeit, die Abtreibung in Ländern sicherer zu machen, in denen operative Abtreibungen wegen des niedrigen medizinischen Standards lebensgefährlich sind. Jährlich sterben immer noch weltweit 200.000 Frauen an den Folgen einer Abtreibung. Doch die spätere Mutterfirma von Roussel war nicht begeistert: Die Frankfurter Hoechst AG hatte die Mehrheit der Roussel-Anteile erworben und damit das Kuckucksei Mifegyne. Heute bilden Hoechst Pharma, die amerikanische Firma Marion und Roussel den Pharmamulti Hoechst Marion Roussel (HMR). Schnell geriet der weltweit agierende Konzern ins Zielfeuer der Abtreibungsgegner. Morde an Abtreibungsärzten und Anschläge auf Kliniken in den USA untermauerten die Proteste und Drohungen blutig. Als 1997 der Lebensschützerverein „Pro life“ in den USA eine Boykottkampagne gegen ein HMR-Allergiemittel startete, reichte es dem Konzern: Der Imageschaden wurde durch die sechs Millionen Mark Jahresumsatz, den Mifegyne erzielte, nicht aufgewogen.
Hoechst übertrug die Rechte für das Medikament dem ehemaligen Roussel-Vorstand Eduard Sakiz. Der übernahm auch die Vorsichtsmaßnahme des Konzerns, die Zulassung für die Pille nur in Ländern zu beantragen, deren Regierung die Firma eigens dazu auffordert.
An dieser Praxis drohte kurzfristig auch die Zulassung in Deutschland zu scheitern. Gesundheitsministerin Andrea Fischer wollte das Signal nicht geben: Als Dienstherrin des zuständigen Bundesamtes für Arzneimittel wolle sie keine politischen Aussagen zu einem Medikament machen. Emma witterte ein katholisches Komplott – hatte Fischer nicht gerade zugegeben, „neue zarte Annäherungsversuche“ an ihre „Jugendliebe Kirche“ zu machen? Alice Schwarzer intervenierte beim Kanzler, und der schrieb ein diplomatisches Musterstückchen von Brief zurück: „Nach erfolgter Zulassung würde die Bundesregierung es begrüßen, wenn auch Ärzten und Frauen in Deutschland die Möglichkeit eröffnet würde, im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs zwischen chirurgischen und medikamentösen Methoden wählen zu können.“ Das Signal war gesetzt.
Inzwischen war die Vatikan-Connection aber längst warmgelaufen, und „die Faust des Papstes in Deutschland“ (Spiegel), Kardinal Meisner, heizte ein: Die Pille verglich er mit dem Nazi-Gas Zyklon B: In Deutschland dürfe angesichts des Genozids an der jüdischen Bevölkerung kein „Tötungsmittel“ für eine „gesetzlich abgegrenzte Menschengruppe“ zur Verfügung gestellt werden.
In dieses Horn stießen zuletzt auch noch die „Christdemokraten für das Leben“ um den CDU-Politiker Norbert Geis. Das Arzneimittelgesetz, dessen Änderung Mitte Juni auf der Agenda des Bundestages stand, dürfe nicht für „Tötungsmittel“ gelten. Der Antrag fiel durch, das Gesetz wurde geändert, am 9. Juli wird es dem Bundesrat vorgelegt.
RU 486 ist nach Einschätzung von Gynäkologen in Deutschland zwar ein Fortschritt, dürfte aber keine Revolution der Abtreibungspraxis auslösen: Die Pille darf nur bis zur 7. Schwangerschaftswoche angewandt werden, die meisten Frauen entscheiden sich hierzulande aber gerade erst zwischen 6. und 9. Woche. Es gibt medizinische Beschränkungen wie die, daß Raucherinnen nicht älter als 35 Jahre sein dürfen, und: als „schonend“ kann man die Abtreibung mit der Pille kaum bezeichnen. Im Regelfall wird sie von schmerzhaften Krämpfen begleitet, bis zu 15 Tage können nachfolgende Blutungen anhalten. Das als zweites Mittel für die Austreibung der abgetöteten Frucht notwendige Prostaglandin ist in Deutschland nicht zugelassen. Ärzte könnten deshalb vor der Anwendung der Mifegyne zurückschrecken. Und: die vielzitierte „Eigenverantwortung“ der Frau bei der Medikamentenmethode kann auch zur psychischen Überforderung werden. Heide Oestreich
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