piwik no script img

Ab durch die Mitte zu Rot-Grün

Joschka Fischer sinniert über die Debatten über Koalitionen mit der Union. Nach dem taz-Interview sorgt sich nun Jürgen Trittin um die geistige Gesundheit von Oskar Lafontaine  ■ Aus Bonn Hans Monath

Allen Berichten über nächtliche Gespräche an der Bar und angeblichen Rückzugsabsichten zum Trotz: Joschka Fischer will die „rot-grüne Flinte nicht ins Korn werfen“. Das erklärte er gestern in Bonn.

Der Fraktionssprecher der Bündnisgrünen im Bundestag hält die nach den Landtagswahlen entbrannte Diskussion über schwarz- grüne Koalitionen für „wenig hilfreich“. Die große Mehrheit der Grünen-Wählerinnen und -Wähler wolle die Zusammenarbeit mit der SPD. Fischer sagte: „Ich sehe keine strategische Alternative zu Rot-Grün bis 1998.“

Die Grünen sollen allerdings ebenfalls den Kampf um die Mitte aufnehmen, damit Rot-Grün gelinge, forderte er. Dabei gehe es weder um einen „Anpassungs- noch um einen Verschiebungsprozeß“ der eigenen Partei. Ziel sei vielmehr, auf der Grundlage grüner Programmatik Ängste im bürgerlichen Lager abzubauen und verstärkt mit der FDP zu konkurrieren. Während die FDP für den „organisierten Egoismus der Spitzenverdiener“ stehe, wollten die Grünen jene Gutverdienenden ansprechen, die „ihr soziales Gewissen nicht an der Zeitgeistgarderobe des Neokonservativismus abgegeben haben“.

Fischer forderte SPD-Chef Oskar Lafontaine auf, seine „reaktionäre Hetze“ gegen die Aussiedler einzustellen, und warnte ihn vor einem zunehmend isolationistischen Kurs in der Europapolitik. Als „absurd“ wies Fraktionssprecher Fischer die Vorwürfe des SPD- Chefs zurück, die Aussiedlerpolitik der Grünen offenbare völkisches und nationales Denken, wie gestern Lafontaine im taz-Gespräch gemeint hatte. „Wenn wir völkische Politik im Staatsbürgerrecht betreiben, dann hat er tatsächlich die Wahlen gewonnen“, entgegnete Fischer in Anspielung auf Lafontaines Interpretation der Landtagswahlergebnisse als Erfolg.

Fischer zeigte sich entsetzt über Lafontaines Reaktion auf die Niederlage vom Wahlsonntag. Falls der SPD-Chef die Realität weiter auf diese Weise ausblende, werde er eine „krachende Wiederholung“ der Wahlniederlage von 1990 erleben, sagte ihm Fischer voraus.

Diese Niederlage werde für die SPD schlimmer ausfallen als die Wahl vor sechs Jahren, die Grünen jedoch würden gestärkt in den Bundestag einziehen. Grund der anhaltenden Flaute der SPD ist nach Meinung Fischers allerdings kein Personal-, sondern ein Strukturproblem.

Vorstandssprecher Jürgen Trittin, dem Oskar Lafontaine im Interview mit der taz Doppelzüngigkeit vorgeworfen hatte, sorgte sich gestern um die seelische Gesundheit des SPD-Chefs. Wer nach dem Wiedereinzug der „Republikaner“ in den Stuttgarter Landtag „in bockiger Rechthaberei seine fremdenfeindliche Aussiedlerpolitik verteidige, ... muß sich fragen lassen, ob er nicht gaga ist“, sagte der Grünen-Sprecher. Dem SPD-Chef hielt Trittin „Schizophrenie“ vor. Als saarländischer Ministerpräsident sei Oskar Lafontaine doch daran beteiligt gewesen, die von der CDU betriebene „Ausländer- raus!-Politik“ durch Abschaffung des Asylrechts zur Verfassungsnorm zu erheben. Auch in der Steuerpolitik klafften Anspruch und Verhalten des SPD-Chefs weit auseinander, kritisierte Jürgen Trittin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen