AUSSTELLUNG: Souveräne Leere

Das Gerhard-Marcks-Haus sucht den "Nullpunkt der Bildhauerei" und widmet dem Bildhauer Yuji Takeoka eine Retrospektive. Der war lange Jahre in Bremen Professor und blieb doch im Verborgenen. Nun wird er emeritiert. Eine Spurensuche

Anklänge ans Bauhaus sind nicht zufällig: Shikiri (1990) aus Palisanderfurnier. Bild: Gerhard-Marcks-Haus

Erst jetzt, wo er fast schon weg ist, wird so richtig klar, was fehlt, fehlen wird. Das wiederum ist von einer gewissen Ironie – weil: Es geht doch um Leere, fast immer, bei Yuji Takeoka.

Seit 1995 ist der Japaner in Bremen Professor für Bildhauerei, doch ausgestellt wurde er hier so gut wie nie. Gut, da waren zwei Ausstellungen in engagierten kleinen Galerien, aber das war auch schon in den Neunzigern. Und seither gab es hier immer nur mal Einzelnes zu sehen, aber die großen Sachen, die liefen in Berlin, in Tokyo – und Bottrop.

„Er ist ein wichtiger Künstler für die Region“, sagt Arie Hartog dann, der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen, des „Bildhauermuseums des Nordens“, wie es sich selbst nennt. Das widmet ihm jetzt eine große Retrospektive, die erste museale Einzelausstellung in Bremen – jetzt, wo Takeoka emeritiert wird, ganz und gar zurück nach Düsseldorf geht, wo er schon lange lebt. Bremen, so hat man das Gefühl, wusste nie so richtig, was es an Takeoka hat. Warum? „Das liegt“, sagt Hartog, „an Bremen.“

Okay, für die Bildhauerei ist er zu sehr an Sockel und Vitrinen, also am scheinbar Nebensächlichen interessiert, zu wenig figürlich, also zu weit weg von allem, was sie traditionell ausmacht. Und zu nahe an dem, wovon sie sich so gerne abgrenzen will: Design, Möbel. Für alle anderen aber ist Takeoka eben schon zu gegenständlich.

Und dann ist da noch dieses Missverständnis, das Takeoka in jene Schublade steckt, auf der „Minimal Art“ steht. Bei genauerem Hinsehen hat er damit gar nicht so viel zu tun, zumal Takeoka nicht so unpersönlich, schematisch, ja: nicht so humorlos ist wie eben der Minimalismus.

Wie Sie sehen, sehen Sie: Nichts. Nein, das stimmt auch nicht ganz. Doch in der edlen weißen Vitrine an der Wand, die mit ihren beiden Halogenstrahlern den Innenraum perfekt illuminiert, so als ob es da was auszuleuchten gäbe – da steht nichts. Ironisch wird da auf eine Benutzbarkeit angespielt, die es nicht gibt. Aber auch auf die tradierten Spielregeln, die im Kunstbetrieb gelten: die museale Erhöhung, die per se „wichtig“ und „wertvoll“ macht, was drinnen steht.

In dem großen Glaskubus nebenan ist nur ein puristischer weißer Sockel, der nichts erhöht als sich selbst, weil er leer bleibt, bleiben wird, und der aussieht, als sei er aus seidenmattem Marmor. Ist er aber nicht. Es ist Corian, ein Werkstoff, den man sonst oft in edlen Designerküchen und -bädern findet. „Bei mir ist die Existenz des Materials als solches wichtig“, sagt Takeoka, „meine Vorstellung bestimmt die Form und die Menge des jeweiligen Materials, um dessen ausgeglichenes Dasein so deutlich wie möglich ausdrücken zu können.“ Dieses Material aber ist bei Takeoka stets besonders hochwertig und nie anders als vollkommen präzise und handwerklich perfekt verarbeitet.

Seit den Achtzigern schon widmet sich der Japaner dem, worin, worauf des Bildhauers Werke sonst nur zu stehen kommen. Und was Rodin einst schon abgeschafft hat. Sowas machen inzwischen auch andere KünstlerInnen, doch kaum jemand mit solchem ästhetischen Anspruch. „Betrachtet man den Sockel als Ding, worauf ein Objekt steht, kann man den Boden im Raum auch schon als Sockel ansehen“, sagt Takeoka. Und begreift den ganzen Raum als eine begehbare Skulptur.

Er verleiht dem musealen Möbel skulpturale Qualität und Autonomie, er hinterfragt die Sehgewohnheiten der geneigten BetrachterInnen, ja, das Pathos der Kunst. Ohne dabei bloß das Banale zur solchen zu erheben. Das „Nichts“ ist hier nicht nur das Fehlen von „Etwas“. In der Leere entsteht bei Takeoka ein Raum, in den wir uns etwas hineindenken, den wir mit Gedanken, Ideen, Vorstellungen, Erinnerungen füllen. Es ist die „Steigerung der Wahrnehmung durch das Weglassen dessen, was man für das Eigentliche hielt“, schrieb die Frankfurter Allgemeine mal. Selten wurde mit Leere so souverän umgegangen wie hier.

Einst hat Takeoka für sich selbst alles vom Sockel geworfen. Und nochmal ganz von vorne angefangen. Als er 1973 aus Kyoto kam, wo er geboren ist, Kunst studierte und Meisterschüler war, da hat er zunächst ganz andere Sachen gemacht, stark raumbezogene, großformatige Arbeiten waren das. Doch irgendwann sei er selbst nicht mehr zufrieden gewesen. Es kam die „Krise“, wie er heute sagt. Und Joseph Beuys, also nach Japan, mit seinem „Filzanzug“ von 1970. „Ist das Kunst?“, fragte sich Takeoka damals. Und wollte doch nach Düsseldorf, wo Beuys Professor an der renommierten Kunstakademie war. Als er schließlich kam, war Beuys schon entlassen. Takeoka blieb, fing künstlerisch neu an, bei Null, um „was ganz anderes zu machen“. Es war ein „Befreiungsschlag“, sagt er. Bis heute arbeitet Takeoka in Düsseldorf, Professor wollte er dort jedoch nie werden.

Japaner finden ihn heute „sehr deutsch“. Und Deutsche? Suchen bei ihm vergeblich nach Insignien dessen, was sie für typisch japanisch halten. Solcher Symbole, sagt er, würde er sich nie bedienen. „Er ist ein totaler Traditionalist“, sagt Peter Friese – wenn es um Form und Raum, um die gediegenen Materialien geht. Friese kennt ihn noch von damals, als noch keiner ihn kannte und ist heute stellvertretender Direktor der Weserburg, Museum für moderne Kunst in Bremen. Andererseits hege er die „industrialisierte amerikanische Vorstellung“, Kunst könne auch von Maschinen gemacht werden. Längst sägt, schleift und poliert Takeoka nicht mehr alles selbst – es kommt auf die Erscheinung der Dinge an, zumindest jene, die wir im Kopf haben.

Dabei „muss man keine dicken Bücher gelesen haben“, um Takeoka zu verstehen, sagt Hartog, müsse nicht viele Philosophen kennen. Hartog ist einer, der Kunst nicht nur für jene zeigen will, die sie ohnehin kennen, und er hat damit auch Erfolg, was die Besucherzahlen in der Stadt angeht.

Jenes etwas Elitäre, was zeitgenössische Kunstpräsentation oft hat, findet er „grauenhaft“. Lieber setzt er darauf, dass die Leute ihre eigenen Sehgewohnheiten selbst hinterfragen, sich selbst überlegen, wo Bildhauerei eigentlich anfängt, ihren „Nullpunkt“ hat, wie es im Titel der Ausstellung heißt. Oder jedenfalls einen Sinn fürs Kontemplative entwickeln, dass Takeokas Werke haben. „Ein Museum sollte nie beweisen, dass etwas neu ist, sondern dass es Sinn macht“, sagt Hartog.

Seinen künstlerischen Durchbruch in Deutschland verdankt Takeoka übrigens der Kasseler Documenta IX von 1992. Bei Wikipedia ist er gleichwohl bis heute eine weitgehend unbeschriebene Seite, das Portal artfacts.net listet ihn unter über 300.000 KünstlerInnen immerhin auf Platz 2.989. „Er wollte nie Karriere machen“, sagt Friese. Und sich stets eine Distanz zu Bremen bewahren, wie er selbst sagt.

Zugleich sei er ein „eher stiller Zeitgenosse“, so Friese, anders als etwa der laute Bildhauer- und Professoren-Kollege Olaf Metzel, der gerade in der Weserburg kuratieren durfte. Vielleicht war Takeoka auch deshalb nie recht präsent in Bremen. Sein jüngstes öffentliches Kunstwerk entsteht derzeit – in Paderborn.

Bis 10. Juni, Bremen, Gerhard-Marcks-Haus, www.marcks.de

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