: AUSENGLAND
ABDURCHSHINTERTÜRCHENMIT ■ CHUMBAWAMBA
Große und gute alte englische Tradition war es, die Schere im Kopf aufzumachen, die herrschenden Geräusche zu akzeptieren und sich zu eigen zu machen. Quasi durchs Hintertürchen Unterbewußtsein (oder die wackelnden Arschbacken) mit den Texten das Bewußtsein zu okkupieren. Denn genau daran krankte ja alle noch so gutartige politische Musik (sieht man mal von den einschlägigen Propaganda-Songs von links und rechts ab), daß nämlich der durchschnittlich nette, durchaus bewußt lebende Mensch, leicht durch das widerliche Gedröhne irgendwelcher Hausbesetzer-Kombos abgeschreckt wurde, auch wenn deren Anliegen noch so ehrenwert war.
In England gab es (im Gegensatz zu Deutschland, außer vielleicht Ton Steine Scherben) diese Tradition, und sie bringt immer wieder hervorragende Vertreter hervor. Letztes Beispiel waren die Housemartins, die es mit den Zeilen »Don't shoot someone tomorrow that you can shoot today« bis in die Top Ten schafften — und kaum einer hat's bemerkt.
Würdige Nachfolger in Wort und Ton sind Chumbawamba, auch wenn der Chartserfolg noch auf sich warten läßt. Dazu sind Chumbawamba vielleicht auch noch nicht eindeutig genug Pop. Über ihren alles beherrschenden Beat aus Schlagzeug und Drumcomputer, legen sie Loops und Samples, Volks- und Kinderliedmelodien, Mainstream-Gesänge, Funk-Gitarren, auch mal HipHop, Toasting, Rapping oder afrikanische Harmonien, aber auch Reminiszenzen an Punk und New Wave der frühen 80er tauchen auf. Die drei wohligen Stimmen singen auch schon mal a capella »We don't rest 'till the last Nazi dies« oder über Ulrike Meinhof.
Chumbawamba kommen aus Leeds und setzen damit die dort vorhandene Tradition solcher Politbands wie Gang of Four fort — links, radikal und tanzbar. Bei ihrem letzten Gig in Berlin trugen vier der Band ein T-Shirt mit der Aufschrift »The beast must die« und dem Bild Maggie Thatchers — aber erst ein Ziel ist erreicht.
So wie Gang of 4 damals den Funk politisierten, nehmen Chumbawamba die aktuellen technischen Errungenschaften des Dancefloors (Loops, Samples, House-Beats, etc.), um ihre Botschaft an den Menschen zu bringen. Und so wie Gang of 4 haben auch Chumbawamba als Punk-Band angefangen, um später zu erkennen, daß man die Köpfe der Menschen leichter über das Tanzbein infiltriert, haben erkannt, daß die Schere zwischen Text und Musik ruhig weit offen stehen sollte. to
UM20.30UHRINDERALTENTU-MENSA
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