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■ AUS POLNISCHER SICHTBergauf oder bergab?

Für einen Polen klingt es höchst unnatürlich und wider jede Intuition, daß eine gute, erfolgreiche Phase als den »bergauf«-führend bezeichnet wird. Für uns heißt es immer »bergab«, wenn es uns gut geht.

Was auf den ersten Blick nur eine witzige Differenz und noch ein Beweis für das Andersdenken der beiden Sprachen erscheint, zeigt meiner Überzeugung nach eine grundlegende Verschiedenheit der Deutschen und der Polen. Wen sich die Deutschen Mühe geben dürfen, einer Tätigkeit fleißig nachgehen können, wenn sie etwas schaffen und tüchtig sind, dann sind sie glücklich und sehen der Zukunft zuversichtlich entgegen (bergauf!). Ein Pole ist erst dann beruhigt, wenn er keine sinnlosen, mühseligen Aufgaben vor sich hat, wenn er sich ausruhen darf, sich nach der Arbeit erholt, faulenzt oder einfach nichts tut. Dieses ist jedoch meist erst in der späten Lebensperiode möglich, wenn schon alles sehr schnell bergab geht. So ist für die polnische Mentalität derjenige, der sich immer nur anstrengt und weiter nach oben will, wenn schon nicht mit dem Sisyphus, dann auf jeden Fall mit dem Prometheus vergleichbar.

Der Pole hat aber eine angeborene Neigung zu Epimetheus, dem Bruder des Prometheus und Gemahl der gewissen Pandora. Ständig werden auch die Büchsen der letzteren in Polen geöffnet und deren Inhalt ausgekostet: Wenn nicht der Dreck der geheimpolizeilichen »Dossiers« gegen wichtige Persönlichkeiten der Opposition, dann ein Karussel der Koalitionen, deren rein theoretisch mögliche Zahl im polnischen Parlament eine siebenstellige ist; wenn nicht Bauernblockaden, dann Streiks, Beschimpfungen im Sejm, Affären an der Grenze, Skandale um Milliardenbeträge. Die Anzahl dieser Pandorabüchsen wächst bergauf. Die Tatsache, daß eine auf einer stabilen Mehrheit ruhende Mitte-Links-Regierung (eigentlich eine aussagenlose Bezeichnung für die polnische politsche Szene, mangels anderer Begriffe muß sie jedoch offenbar überall auftachen: die Premierministerin gehört dem rechten Flügel der demokratischen Union an, ihre beiden Stellvertreter gehören der erzkonservativen Christnationalen Vereinigung an, das Zentrum ist draußen und die postkommunistische Linke in der Opposition!) innerhalb einer Woche zustande kam, ist ein deutliches Zeichen für eine Bergab-Entwicklung in Polen... Piotr Olszowka

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