AUF DEM VOLKSFEST : Der falsche Finger
Mit Fup in der Hasenheide auf dem Volksfest. Ponyreiten. Ich traue mich kaum ans Kassenhäuschen. Da sitzt was Mürrisches drin und rückt nur widerwillig die Chips heraus. Vier Ponys werden im Kreis geführt von einem älteren Mann, der den Kopf genauso hängen lässt wie die Ponys. „Eine Runde noch, dann ist Schluss“, sagt der Mann. Es hört sich deprimiert und sehr existentiell an.
Auch die Bratwurst ist deprimierend. Sie hat eine dicke braune Kruste, weil sie schon lange auf dem Rost liegt. Aber schließlich muss sie noch verfüttert werden. Da kommen wir genau richtig. Fup schmeißt seine Bratwurst einfach in den Sand. Logisch. Wir setzen uns auf eine Bank. Auf der Bank neben uns lärmen zwei türkische Großfamilien. Eine der Männer guckt uns lange an. Dann fragt er: „Seid ihr Sintis?“ „Nein“, sagt Nadja, und das ist schade, dass man immer automatisch die Wahrheit sagt, denn jetzt werden wir nie erfahren, was gewesen wäre, wenn wir uns als Sintis geoutet hätten. Sofort entbrennt eine kurze Diskussion darüber, von der wir allerdings nichts verstehen, weil sie auf Türkisch geführt wird. „Bist du der Mann“, fragt mich der andere Mann. Komischerweise weiß ich sofort, was er meint. Fröhlich halte ich meine Hand mit dem Ehering in die Höhe. Der befindet sich bei mir am Mittelfinger, und um den Ring hervorzuheben, knicke ich die anderen Finger ein. Schlagartig wird es still. Man kann eine Stecknadel fallen hören. Das ist natürlich Quatsch, aber ich wollte das immer schon mal schreiben. In Wirklichkeit ergießt sich die Soße aus Schnulze, Rap und Techno auch weiterhin über den Platz und verklebt die Ohren. „Wenn du so machst“, sagt der Mann, zeigt mir den Mittelfinger und lacht, „kriegst du auf Fresse.“ Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Geste nicht sehr glücklich gewählt war. Das hat man davon, wenn man einmal seinen Ehering zeigt. KLAUS BITTERMANN