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Archiv-Artikel

ATOMPROTEST FÜR UND WIDER ROT-GRÜN Kommentar von Nick Reimer

Für die deutsche Anti-Atom-Bewegung kommt es dicke. Zwar wird mit dem Reaktor in Obrigheim heute ein AKW ausschließlich wegen des Atomausstiegs abgeschaltet. Aber es könnte auch das Letzte sein: Nach dem Konsens zwischen Regierung und Energiewirtschaft ist als nächster Reaktor der von Biblis dran – 2007. Davor jedoch ist Bundestagswahl. Falls die Union gewinnt – und dafür spricht derzeit einiges –, wird der Ausstiegsbeschluss obsolet.

 Die grünen Realpolitiker und Umweltminister Trittin mussten sich wegen ihres Ausstiegsszenarios seinerzeit harsche Kritik aus der Anti-AKW-Bewegung gefallen lassen: Er sei zu lasch und dauere zu lange. Außerdem zogen sich viele AKW-Gegner aus den Anti-Atom-Protesten zurück, weil sie glaubten, der Ausstieg sei eingeleitet – und Rot-Grün sorge dafür, dass er unumkehrbar bleibe.

 Doch rund um den Globus scheint die Kernkraft eine Renaissance zu erleben. Und die Konservativen landauf, landab wittern Morgenluft – in den USA, in Finnland und auch in Osteuropa. Es passt nicht in ihr Weltbild, dass Strom oder Wärme von Arztgeldern oder Bauernkapital geliefert wird – also von Windrädern oder Biogasanlagen. Das konservative Denken braucht großkapitale Konzerne, die mit großtechnischen Anlagen nationale Unabhängigkeit sichern. Tatsächlich kann aber von einer Renaissance keine Rede sein. In Schweden gibt es einen juristischen Rückschlag, im britischen Sellafield wieder einmal einen Störfall. Und ob in der Ukraine tatsächlich neue Reaktoren gebaut werden, ist höchst fraglich – vielleicht will die Regierung nur mehr Geld von der EU haben.

 Die guten Argumente der Anti-Atom-Protestler bleiben gute Argumente. Mag sein, dass ein Teil der einst mächtigen Bewegung angesichts des rot-grünen Atomkonsenses müde geworden ist. Und manch einer mag die Stilllegung von Obrigheim als Erfolg eines jahrzehntelangen Kampfes sehen. Momentan aber werden die Proteste gebraucht wie selten zuvor. Erst sie können aus dem Atomkonsens einen wirklichen Atomausstieg machen. Dabei steckt die Anti-AKW-Bewegung in einem gewissen Dilemma: Wenn sie nicht dazu beiträgt, dass Rot-Grün an der Macht bleibt, bekommt sie in jedem Fall die Laufzeitverlängerung, die die Atomlobbyisten wollen.