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■ ARTUR, BERLINOIDGroße Romanzen aus winzigen Anfängen

Es gibt ja dieses Märchen, in dem der König seinem Sohn Wagen und Pferd schenkt, weil es ihm nun überhaupt nicht gefällt, daß der Junge sich querfeldein herumtreibt, die kontrollierten Straßen verläßt, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden«, sagte Artur und machte ein verhärmtes Gesicht dazu. »Erstens eine Unverschämtheit von dem Alten, bei den Staus überall, und zweitens überhaupt, der sagte ihm noch, nun brauche er nicht mehr zu Fuß zu gehen, was ja nix anderes bedeutet, als daß er es jetzt nicht mehr soll und auch nicht mehr darf. Obwohl...«, sagte Artur noch, »obwohl doch auch der gewußt haben müßte, daß alles viel besser ginge, wenn man mehr gehen würde, ni?!« Und dann kneift er wieder arturesque die Augen zusammen und erzählt der ganzen Bande, wie spannend es ist — wenn mal gerade kein Kraftwagen parkt — die versteckten und geheimen Botschaften, von freien Steinsetzern grau und schwarz auf den Bürgersteig gepflastert, zu entziffern und den Hinweisen auf versteckte Höfe, Werkstätten und Menschen auf eigene Art zu folgen.

Einmal, stadtwandernd, war Artur am Schlachtensee, im Wald gelandet. »Exorbitante Beauties«, griente er, »undurchsichtig geschminkt, harte Dauerwellen, umhüllt von atemberaubenden Düften und begleitet von zweifelhaften Männern in Blau oder Loden traf ich dort, starre Gesichter, aber keine Menschen.« Und er hatte den Weg hinauf in die schmalen Kopfsteingassen des aalglatten Viertels genommen, sich zu erholen, andere Luft zu schnuppern, als sein Blick am Straßenschild hängenblieb. »Ahrenshooper Zeile«, las Artur, und er dachte bei sich, das müsse denn wohl ein Ortsname aus dem Holländischen sein.

Zwei Tage später schon hatte er alles herausgefunden. Wo Ahrenshoop liegt, wie man da hinkommt, was es mit dem Dorf so auf sich hat, und er ist es besuchen gefahren, mit der Eisenbahn und dem Bus. Aber ach, auch dort, wichtigtuerisches Flanell, hochaufgemachte Pelzträgerinnen, millimeterdick Feinputz. »Hohoho«, keckerte Artur sein Lachen, »reisen bildet!« Doch spannende Personen, behauptet er, hat er auch kennengelernt im Norden, und Schnaps und Räucherfleisch, an der Steilküste, hoch überm Meer. Er mache das jetzt öfters mal, sagt Artur, stadtplanunmäßig, »diese Angelegenheiten verlangen unbedingt Umsicht, etwas Idealismus und gute Nerven!«. Ab sofort, sagt er, würde er Paradiese entdecken, die überhaupt nix Künstliches haben, hinter den Straßenschildern der Stadt, bei den Bewohnern hier, und am Ziel und wieder zurück in Berlin. »Abendfüllende Programme«, sagt er, »doch wenn's anstrengend wird, hör' ich auf!«

Die Tage wird er sich um die Prager Straße kümmern, »um«, wie es Artur ausdrückt, »auch immer mal wieder 'n bißchen zurück kommen zu können, weil ich oft mit manchen hoch und gefährlich lieber auf den Mauern dieser Stadt stehe, in deren Blick auf die Wildnis sich die Trauer spiegelt über ihr Unvermögen zu fliegen.« Clemens Walter

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