ARD-Chef über Zukunft des Ersten: "Es gibt keine Tabus"
Peter Boudgoust spricht im taz-Interview über Staatsferne der Öffentlich-Rechtlichen, Sparzwang und die Zusammenarbeit der ARD mit den Privaten.
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taz: Herr Boudgoust, Sie prophezeien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk werde in zehn Jahren für ein Angebot wie heute nicht mehr das Geld haben. Warum diese Schwarzmalerei?
Peter Boudgoust: Das ist keine Schwarzmalerei, z. B. wird der SWR in den nächsten Jahren 15 Prozent seiner Einnahmen verlieren. Das aufzufangen, ohne dass es zu sehr auf das Programm durchschlägt, ist die größte Herausforderung der Zukunft. Wir wissen, dass wir nicht den Gesamtbestand halten können, den wir heute haben.
Der Streit zwischen den großen reichen ARD-Anstalten wie WDR und SWR und den kleineren wie dem RBB oder Radio Bremen wird jetzt also richtig fies, und am Ende spricht die Politik ein Machtwort?
Nein, die ARD wird das aus eigener Kraft schaffen, weil allen der Ernst der Lage bewusst ist. Bei aller Grausamkeit: Es gibt keine Tabus - dabei ist natürlich immer der Kern unseres öffentlich-rechtlichen Auftrags das Ziel. Die Zeichen stehen auf geordneten Umbau - wichtig ist, dass das, was bleibt, keine Hütte ist.
Die Umstellung der Rundfunkgebühr auf eine Haushaltsabgabe ab 2013 soll aber doch mehr Geld in die Kassen spülen.
Nein, wer hier Mehreinnahmen in üppiger Höhe kommen sieht, ist ein Fantast. Der Systemwechsel als solcher wird nicht zur Erholung führen. Da wir bislang auch nur die Eckpunkte des neuen Modells kennen, hoffen wir, dass es kostenneutral geht.
Die Politik will für 2013 eine Erhöhung der Rundfunkgebühr ausschließen, um die Akzeptanz für das neue Modell zu erhöhen. Spielt die ARD da mit?
Es wäre eine weltfremde Vorstellung, davon auszugehen, dass es bis zum Ende der Tage keine Kostensteigerung mehr gibt. Wir haben schon jetzt die Situation, dass keiner zusätzliches Geld fürs Erste geben kann, und mussten die Etats für Sportrechte und Spielfilme bis zum Ende dieser Gebührenperiode um je 20 Millionen Euro kürzen.
Immerhin leisten Sie sich noch Günther Jauch. Und viele in der ARD wünschen sich, Jauch solle noch mehr als den Polittalk im Ersten übernehmen - auch und gerade bei der Unterhaltung.
Jetzt lassen wir ihn erst mal am Sonntagabend moderieren. Ich freu mich drauf - und er sich, glaub ich, auch. Wünsche darf man natürlich haben, von Wünschen allein hat man nur nicht so schrecklich viel.
Jauch sendet 2011 dann parallel auf ARD und RTL, auch die Kooperation mit Stefan Raab und ProSieben beim Grad Prix wird fortgesetzt: Wird die ARD zur Public-Private-Partnership?
Nein, das ist kein Schlüssel für die Zukunft. Es gibt aber doch auch keinen Unvereinbarkeitsbeschluss. Wir sind bei solchen Fragen vielleicht ein bisschen souveräner geworden in jüngster Zeit: Wenns gut ist für die Zuschauer, machen wir das.
Noch eine ARD-Personalie sorgt für Unruhe: Ende Juli tritt der Sprecher der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm (CSU), ab, um 2011 Intendant beim Bayerischen Rundfunk zu werden. Auch einige Ihrer Intendantenkollegen sprechen intern von einem "unglücklichen Signal".
Da wird ein Scheinproblem aufgemacht. Es geht doch darum, ob jemand für ein Amt geeignet, souverän genug ist. Und da habe ich noch keine Zweifel an Ulrich Wilhelm gehört.
Beim ZDF war das Entsetzen über den Durchmarsch der Union und die Absetzung des Chefredakteurs Nikolaus Brender dafür ziemlich groß.
Jetzt müssen Sie aber differenzieren: Beim ZDF geht es um die Frage, wie viel Einfluss der Staat über die Gremien bei der Besetzung wichtiger Posten im Sender haben darf. Bei uns im SWR ist zum Beispiel geregelt, dass nur 20 Prozent der Gremien-Mitglieder aus der Politik kommen dürfen. Aber das kann doch nicht dazu führen, dass jetzt schon die Herkunft eines Kandidaten aus der Politik mit einem Hautgoût behaftet und erklärungsbedürftig wird.
Hätten Sie als ARD-Vorsitzender nicht wenigstens auf einer Karenzzeit bestehen müssen? Jetzt wechselt der Sprecher der Kanzlerin fast übergangslos auf einen ARD-Intendantensessel.
Die Vorstellung, Ulrich Wilhelm müsste erst irgendwo "abkühlen", hat doch bestenfalls was Satirisches. Keine Frist kann eine Distanz zu einem früheren Job schaffen, das ist realitätsfremd. Entweder man traut ihm den neuen Job zu oder eben nicht.
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