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ARBEITSMARKTREFORM: AUCH WIRTSCHAFTSVERBÄNDE SIND ZU MÄCHTIGHartz im Glück

Wir leben in einem Land, in dem Angst vor Veränderung herrscht. Über diese gewisse Behäbigkeit liest man nicht nur in Reiseführern, die in den USA erscheinen. Aktuell läuft diese Diagnose der deutschen Gegenwartskultur als Subtext in allen Debatten mit, und Peter Hartz, der vom Bundeskanzler berufene Reformer des Arbeitsmarktes, hat sie jetzt an ein paar Punkten konkretisiert. Entnervt will der Inspirator schon gar nicht mehr mit dem nach ihm benannten Konzept in Verbindung gebracht werden. „Mutlosigkeit“ wirft er den politischen Eliten vor, zu viele „Rücksichten auf die Befindlichkeit einzelner Interessengruppen“.

Hartz’ Kritik richtet der nach eigener Meinung gescheiterte Reformator an die Interessenverbände der Wirtschaft, namentlich den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), und die Gewerkschaften: Die hätten die ursprünglichen Ideen so lange geschrotet, bis nur noch Staub übrig blieb. Damit dürfte er Recht haben – aber mit einigen Abstrichen. Denn seine Klage beinhaltet ein gewisses Maß an Heuchelei. Vermutlich hat nur er selbst daran geglaubt, dass die von seiner Kommission entworfene Deregulierung des Arbeitsmarktes 2 Millionen neue Stellen kreieren würde. Glück für ihn, dass ihm die Verifizierung seiner Thesen „eins zu eins“ erspart bleibt. Im Übrigen kennt man Hartz bei VW in Wolfsburg als personifizierten Konsens. Wenig passiert, ohne dass es mit IG-Metall-Vize Jürgen Peters besprochen worden wäre.

Trotzdem ist die Feststellung, die Regierung renne vergeblich gegen die anachronistischen Festungen der verbohrten Verbandsfürsten an, im Kern richtig. Auf der Suche nach Abhilfe, um den Einfluss bestimmter Interessen zu reduzieren, lohnt sich auch ein Blick in die Runde. Die CDU-Initiative, die Gewerkschaften als Hüterin des Tarifvertrages teilweise zu entmachten und den Betriebsräten dieses Recht einzuräumen, würde in mancher Firma zu mehr Sicherheit für die Beschäftigten führen. Wer die Voraussetzung für Veränderung schaffen will, sollte freilich beide Seiten bedenken. Zwangsmitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern? Weg damit. Ohne das Bollwerk des Deutschen Industrie- und Handelskammertages wäre vieles unkomplizierter. HANNES KOCH

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