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ANGEHALTEN

■ Die DDR-Fotografin Sibylle Bergemann in der Werkbund-Galerie

„Schreiben kann ich nicht, reden kann ich nicht, aber vielleicht sehen“, soll die Ostberliner Fotografin Sibylle Bergemann einmal von sich gesagt haben. Was sie in den 70er und 80er Jahren gesehen und in Schwarz-Weiß festgehalten hat, zeigt die Werkbund-Galerie jetzt in einer Ausstellung. „Die verwunderte Wirklichkeit“ bilanziert die Arbeit einer Fotografin mit der Kamera und mit den Menschen davor.

Der erste Galerieraum konzentriert sich vorwiegend auf Porträtfotos. Einzeln oder zu zweit sitzen, stehen, lehnen Frauen im Zentrum der meisten Bilder. Ob im Cafe oder Strandkorb, auf der Parkbank oder Couch, die Umgebung bleibt unauffällig im Hintergrund. Nicht selten verschwimmen Lebensräume in einem unbestimmbaren Dunkel. Anhaltspunkte über die Menschen im Vordergrund müssen woanders gesucht werden.

Bekannte Namen hängen neben unbekannten Gesichtern: Katharina Thalbach, Angelica Domröse, Herta Thiele oder einfach Frieda, Charlotte und Marie. Das Kamera-Auge blickt frontal und zielgerichtet, fordernd und doch vorsichtig. Auf den Gesichtern der Frauen zeichnet sich die Anspannung und Beklommenheit ab, mit der sie dem Fotografiertwerden entgegensehen. Um ablichtbar zu sein, wird das Gesicht für einen kurzen Moment in Position gebracht und zur Verfügung gestellt. Körper und Augen spiegeln Bereitschaft und Abwehr: Bis hierhin und nicht weiter.

Gegen allzu tiefes Eindringen wissen sich die Porträtierten jedoch zu schützen. Immer wieder stören ihre Augen jene fast sachliche Kinderneugier, mit der fremde Gesichter ungehemmt erforscht werden. Sie lenken ab, indem sie an Kamera, Fotografin und BetrachterIn vorbei etwas anvisieren was unsichtbar bleibt. Oder sie ziehen an und werfen Blicke zurück. Augen wehren sich, indem sie ihr Gegenüber taxieren, belauern, befragen. Blicke zu ertragen fällt schwer.

Katharina Thalbachs riesige Pupillen starren bis in den nächsten Raum. Dort könnten Dokumentaraufnahmen über die Entstehung des Ostberliner Marx-Engels-Denkmals vorläufig Ruhe gewähren. Gäbe es da nicht die Modefotos.

Fotomodelle, mit dem Kamera-Auge vertraut, stehen in Hinterhöfen. Der Alltag wird für die Inszenierung genutzt. Wäscheleinen sind gespannt, Klammern halten Bettlaken. An rissigen Wänden strahlt eine gekrakelte Kreide-Sonne.

Sibylle Bergemann macht aus den Mannequins keine Anziehpuppen. Ihnen fehlen Farbe und Glamour. Sie tragen die exotischen Leder-Kreationen wie Schutzpanzer. Jacken, die an Rüstungen erinnern, zerfetzte Mäntel, Anzüge aus Lederschuppen verhüllen die Körper. Einige Gesichter werden mit Masken getarnt. Und trotzdem sind es immer wieder die Augen...

Sibylle Bergemanns Photos und die Menschen auf diesen Photos sind zum Berühren nah und gleichzeitig unangreifbar. Nie gelingt es, sich ein Bild der Abgebildeten zu machen. Obwohl sie vieles preisgeben, verbergen sie dennoch.

Ihre Geheimnisse scheinen bei Sibylle Bergemann jedoch in guten Händen. Die Bilder sprechen von geduldigem Warten, vorsichtiger Beobachtung. Die Fotografin nähert sich Privatsphären, ohne sie zu verletzen. Und sie weiß die Porträtierten vor der Macht der Kamera zu schützen: Bis hierhin und nicht weiter. Kurz vor Entblößung erlöst die Fotografin durch das entschiedene, mechanische Klicken des Auslösers.

Michaela Lechner

„Die verwunderte Wirklichkeit“ ist noch bis zum 17. März in der Werkbund-Galerie, Goethestr. 13, 1-12, zu sehen; Mo-Fr 16-18.30 h.

Am 2. März findet um 18 h ein Werkstattgespräch/Workshop mit Sibylle Bergemann, Barbara Klemm und Arno Fischer statt. InteressentInnen sind herzlich eingeladen. Informationen und Anmeldung unter Telefon 313 85 75

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