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ALKOHOL IM PINSEL

■ „Übersprungshandlungen“ im Haus am Kleistpark

Die Engel sind besoffen. Sie flattern wie aufgescheuchte Hühner; sie stelzen auf unsicheren Storchenbeinen; sie trudeln ab wie ein Silvester-Schwärmer; schon auf den Kopf gefallen, wagen sie einen letzten lahmen Flügelschlag. Peinlich für einen anständigen Engel.

„28 besoffene Engel“, mit Bleistift von Marietheres Finkeldei gezeichnet, sind Teil ihrer Interpretation des Begriffs „Übersprungshandlungen“, den sich die Künstlerinnengruppe „Pandem“ als Rahmenthema gestellt hat. Übersprungshandlungen, das sind die Gesten der Verlegenheit eines plötzlich kippenden Bewußtseins von der eigenen Situation. Scheinbar unmotivierte Bewegungen vertuschen plötzliche Unsicherheiten. Etwas mühsam nur spürt man die ersten Verbindungen zwischen dieser Vorstellung und den Arbeiten der drei Künstlerinnen auf und sucht das Gesehene in den Rahmen zu passen. Doch diese Sinnsuche beflügelt die Komik von Finkeldeis „Besoffenen Engeln“, und Neugierde stellt sich ein: Wieso eigentlich erscheinen diese wenigen Striche komisch?

Die Handhabung des Zeichenstifts selbst wird zur dramatischen Aktion, gaukeln die Krikel und Krakel, Brüche und Schnörkel, verpaßten Neuansätze und verrutschten Punkte doch etwas vor, was, wie wir zugleich wissen, nicht Wirklichkeit, sondern nur Spiel sein kann: daß sich nämlich die Zeichnerin selbst im Zustand ihrer Engel, über den Erdboden schwankend, doppelt sehend und souverän am Rande eines Abgrundes balancierend, befunden hätte.

In Finkeldeis „32 Fernsehbildern“ findet sich dieser Taumel als einer zwischen Erkennen und Vergessen wieder. Durchgespielt wird mit Kohlestrichen und Wischen das mimische und gestische Repertoire des aufgeregten Redners er glubscht, plustert sich auf, schielt vor lauter Konzentration, stößt mit der Nase wie ein Adler zum Angriff vor, sackt in sich zusammen. Die Kohlestriche knäulen sich in seiner Verwirrung oder klumpen sich in der Anstrengung zu dicken Balken zusammen. Alle Posen hat man schon einmal gesehen, und doch läßt sich nicht sagen, ob es sich um das Wort zum Sonntag oder die Muppetshow handelt. Es sind am Rande des Bewußtseins, mit halber Aufmerksamkeit registrierte Bilder und im Zustand der Ablenkung gespeicherte Aufnahmen, die sich zu einem immer wiederkehrenden und endlosen Film aneinanderreihen.

Ein vertrautes Kippen der Wahrnehmung und Einbrüche im Kontinuum von Raum und Zeit bestimmen Uschi Niehaus‘ Zeichnungen und Aquarelle „Situationen Dazwischen“. Landschaft, Portrait oder Aktzeichnung mögen einmal die Ausgangspunkte der Linien und Flecken gewesen sein, die nun wild über das Papier spazieren. Andeutungen werden sichtbar und gleich wieder zurückgenommen. Das Nebenhergesehene und als marginal Verdrängte schiebt sich vor das eigentliche Bild und zerstört dessen Ganzheit.

In Elisabeth Luchesis gemalten Variationen zu Rembrandts „Susanna im Bade“ mischt die abstrakte Bildauflösung dynamisch auf, was zuvor als Raum und Körper fest definiert war. An den Ausgangspunkt, den dramatisierten Moment, in dem Susanna ins Wasser steigt, erinnert am Ende nur noch das fleischfarbene Rosa in den kubistisch bewegten Farbstrudeln.

Trotz der wiederholten Figur der Verunsicherung und des Wiederfanges in den Bildern der drei Malerinnen bleiben die „Übersprungshandlungen“ auch als künstlerisches Konzept eine Geste der Verlegenheit. Doch die Qualität des Konzepts liegt gerade in der Einsehbarkeit der Hilfskonstruktion und ihrer überbrückenden Funktion. Darunter lauern die Fragen nach dem Sinn und Zweck dieser Übung. Mit dem Rausch der seriellen Arbeit und der Lösung der selbstgestellten Aufgabe wird der Abgrund des Sinndefizits von Kunst übersprungen. Statt sich davon in die lähmende Tiefe ziehen zu lassen, praktizieren die drei Künstlerinnen ein lachendes sich Heraushelfen aus dem gefürchteten Bedeutungs-Verlust, ein zwinkerndes Eingeständnis des Zweifels am Sinn der eigenen Arbeit. Trotzig halten sie an ihrem Recht der künstlerischen Produktion fest. Doch das schöpferische Pathos des Künstlers, der sein Werk der Welt übergibt, wird zerbrochen. Wer zum Flug in den Himmel ansetzt, wird, wie Finkeldeis Engel, bestenfalls auf dem Hintern landen, wenn er nicht gar auf den Kopf fällt.

Katrin Bettina Müller

Pandem 90, „Übersprungshandlungen“, bis 27. Mai, Haus am Kleistpark.

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